Die Entscheidung des LG Hamburg in Sachen Vosgerau vs. Correctiv anlässlich des Artikels „Geheimplan gegen Deutschland“ fällt 2:1 zugunsten des Recherchemagazins aus. Das Gericht nutzte die Gelegenheit, um deutlich auf die begrenzte Bedeutung des Verfahrens hinzuweisen.

Das Landgericht (LG) Hamburg hat im medial stark diskutierten Eilverfahren des Juristen Dr. Ulrich Vosgerau (CDU), Teilnehmer des Potsdamer Treffens mit Rechtsextremen und Rechten, gegen Correctiv eine Entscheidung gefällt. In einem Punkt erließ es eine einstweilige Verfügung gegen das Recherchemagazin: Dieses muss nun die Darstellung einer angeblichen Äußerung Vosgeraus zu Wahlprüfungsbeschwerden ändern. Keinen Erfolg hatte der Antrag Vosgeraus hingegen im Hinblick auf weiteren angegriffenen Punkte, ob Correctiv seine vollständige Stellungnahme hätte publizieren und seine Aussagen im Rahmen seines Vortrags zu Briefwahlen anders hätte wiedergeben müssen (Beschl. v. 26.02.2024, Az. 324 O 61/24).

Vosgerau hatte auf dem Treffen in Potsdam, dessen Inhalt derzeit Millionen Menschen auf die Straße treibt, nicht nur teilgenommen, sondern auch einen kritischen Vortrag über das Briefwahlrecht gehalten. Lediglich dessen Darstellung im Correctiv-Bericht war Gegenstand des aktuellen Verfahrens.

Dennoch kursierten in den Medien und Kommentaren in den sozialen Netzwerken viele inkorrekte Auffassungen darüber, worüber in diesem Verfahren tatsächlich gestritten wurde. Hier hatten höchstwahrscheinlich viele die groß angelegte „Litigation-PR“ (Öffentlichkeitsarbeit für den Mandanten anlässlich eines Rechtsstreits) der Kanzlei des Antragstellers missverstanden, der auch Themen öffentlichkeitswirksam in das Verfahren eingebracht hatte, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits waren.

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Gericht berücksichtigt nur Gegenstand des Verfahrens – und kommentiert dennoch

Angesichts dieser Diskussion um die Deutungshoheit des Verfahrens sah sich das Gericht veranlasst, folgendes in seiner Pressemitteilung klarzustellen:

„Alle weiteren Inhalte der Correctiv-Berichterstattung, insbesondere ob, durch wen und in welchem Umfang die in dem Artikel thematisierte „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Aufenthaltsstatus oder die deutsche Staatsbürgerschaft haben, auf der Veranstaltung in Potsdam diskutiert wurde, sind nicht Gegenstand der Entscheidung. Für keinen der äußerungsrechtlichen Angriffe des Antragstellers kam es darauf an.“

Auch die weiteren sehr detaillierten Formulierungen der Pressemitteilung über den Gegenstand und die Hintergründe der Entscheidung zeigen, dass sich die Pressekammer sehr deren Bedeutung und der Gefahr bewusst war, sie könne missverständlich aufgefasst bzw. wiedergegeben werden.

In der Entscheidung selbst findet über den eigentlichen Gegenstand des Verfahrens hinausgehender Sachvortrag dementsprechend keine Erwähnung. Des betrifft insbesondere die im Verfahren insgesamt 15 vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen. Zunächst hatte Dr. Carsten Brennecke von der Kanzlei Höcker, Rechtsanwalt des Antragstellers, sieben solcher Versicherungen von Teilnehmenden in das Verfahren (und vor allem in die Medien) eingebracht. Sie betrafen aber lediglich Passagen des Correctiv-Berichts „Geheimplan gegen Deutschland“ vom 10. Januar 2024, welche das Magazin als Meinungsäußerungen formuliert hatte. In eidesstattlichen Versicherungen kann man jedoch nur andere Tatsachen widerlegen, nicht aber Meinungsäußerungen. Die wertenden Schlussfolgerungen des Artikels sind zulässig, darin sind sich alle Beteiligten einig, denn sie basieren auf – unbestrittenen – Tatsachen. Brennecke hatte gegenüber beck-aktuell bestätigt, dass es sich bei seinem Vorgehen primär um Litigation-PR für seinen Mandanten handele, er aber auch hoffe, das Gericht werde seine Argumentation in der Gesamtabwägung berücksichtigen.

Correctiv-Anwalt Thorsten Feldmann von JBB Rechtsanwält:innen hatte auf das öffentlichkeitswirksame Vorgehen der gegnerischen Partei reagiert, indem er gleich acht eidesstattliche Versicherungen vorgelegt hatte, in denen die Journalistinnen und Journalisten im Wesentlichen die Fakten ihrer Recherche bestätigten. Auch hier dürfte es hauptsächlich um Öffentlichkeitswirksamkeit gegangen sein. 

Correctiv musste Vosgeraus Statement zu „Remigration“ nicht vollständig zitieren

Keinen Erfolg hatte der Antrag Vosgeraus zunächst im Hinblick auf die Wiedergabe seiner Antworten auf eine Correctiv-Anfrage, mit der ihn die Redaktion vor der Veröffentlichung des Artikels angehört hatte. In diesem Punkt gab das Gericht Correctiv Recht: So wecke die im Artikel verwendete Formulierung „an die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich aber nicht erinnern können“, kein falsches Verständnis, wie und auf welche Frage Vosgerau sich in Reaktion auf die Anhörung geäußert habe. Correctivs Darstellung entspreche der „prozessualen Wahrheit“.

Correctiv hatte ihm die Frage gestellt, wie er im Nachhinein zu der auf der Versammlung getroffenen Aussage stehe, bei der es um eine „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund gegangen sei, die einen Aufenthaltsstatus oder die deutsche Staatsbürgerschaft hätten. Seine Antwort lautete, „nach seiner Erinnerung“ sei von niemandem gesagt worden, es sollten Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, irgendwie repatriiert oder ausgebürgert werden. Diese sei im Artikel – bezogen auf Äußerungen im Vortrag von Herrn Sellner – zutreffend wiedergegeben worden, entschied nun das Gericht.

Vosgerau hatte zudem angegriffen, dass seine Stellungnahme zu den Vorwürfen nicht vollständig wiedergegeben worden sei. Konfrontiert mit den Vorwürfen rund um das Thema „Remigration“ bei dem Treffen hatte Vosgerau in seinem Statement nämlich zusätzlich betont, er halte die „Ausweisung“ deutscher Staatsbürger nicht für möglich und hierzu habe sich auf dem Treffen auch niemand geäußert. Diese Ergänzung, so nun das LG Hamburg, hätte Correctiv nicht wiedergeben müssen, weil „diese Umstände keine Auswirkungen auf das Leserverständnis hinsichtlich der stattgefundenen Anhörung und entsprechenden Antwort des Antragstellers haben und insoweit kein unwahres Verständnis entsteht.“  

Was ist der Hauptvorwurf des Artikels?

Möglicherweise hatte Vosgeraus Anwalt Brennecke sich gerade an dieser Stelle eine andere Wertung des Gerichts gewünscht. In den (sozialen) Medien betont er, er wolle mit seiner gesamten Litigation-PR dem – vermeintlichen – Hauptvorwurf entgegentreten, der angeblich allein die Menschen auf die Straße treibe. Nämlich, dass über die Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien gesprochen worden sei. Eine entsprechende Ergänzung des Artikels wäre diesem Anliegen natürlich entgegengekommen. Dennoch beschränkt sich das Gericht auch hier rein auf den Gegenstand des Verfahrens und geht dementsprechend auf dieses Anliegen des Antragstellers nicht ein.

Zum Hintergrund: Tatsächlich wurde auf dem Treffen zwar über einen „Masterplan“ zur „Remigration“ gesprochen, die rechtswidrige Ausweisung deutscher Staatsbürger wurde aber nicht geplant. Es stand auch im Artikel, dass die Beteiligten sich bewusst waren, dass das rechtlich nicht geht und man andere Mittel brauche. Formulierungen im Artikel wie „Masterplan zur Ausweisung“ sind hier als zulässige Meinungsäußerung zu werten. Faktisch und unbestritten war aber über die „Remigration“ von Asylbewerbern, Ausländern mit Bleiberecht und „nicht assimilierten Staatsbürgern“ gesprochen worden. Weil letztere nicht ausgewiesen werden können, müsse man es hier anders versuchen, hieß es auf dem Treffen. Etwa solle es „für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein“, weiterhin hier zu leben. Man müsse einen „hohen Anpassungsdruck“ auf die Menschen ausüben, zum Beispiel über „maßgeschneiderte Gesetze“. Auch von einem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft im Fall einer doppelten ist die Rede. Schließlich wurde über einen „Musterstaat“ in Nordafrika nachgedacht, in den man bis zu zwei Millionen Menschen „hinbewegen“ könne, ebenso die Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzten. Daher ist es wohl sehr gut vertretbar, in diesen konkreten Plänen und der daraus hervorgehenden Gesinnung den „Hauptvorwurf“ des Artikels zu sehen.

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Correctiv durfte Aussage im Vortrag bezüglich „türkischer Wählerinnen“ so wiedergeben

Einen Unterlassungsanspruch hat das Gericht auch hinsichtlich der Darstellung verneint, dass Vosgerau über Briefwahlen und im Zusammenhang damit über „Bedenken in Bezug auf junge Wählerinnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten,“ gesprochen habe. Erkennbar handele es sich nicht um eine wörtliche Wiedergabe, sondern um Formulierungen, mit denen der Inhalt des Vortrags des Antragstellers wertend zusammengefasst worden sei. Auch der im Text folgende Zusatz „Auf CORRECTIV-Fragen hin bestätigt er diesen Satz später“ führe beim Leser nicht zu der Annahme, der Antragsteller habe die Verwendung einer bestimmten Formulierung bestätigt.

Die Antwort Vosgeraus gegenüber Correctiv, er habe „wohl eher am Rande und in einem Nebensatz möglicherweise sinngemäß darauf hingewiesen, dass eine Jungwählerin türkischer Herkunft (…) die zu Hause in der Küche unter Aufsicht ihres Vaters und mehrerer Brüder ihren Wahlzettel ankreuzt, dabei möglicherweise und in bestimmten Einzelfällen faktisch nicht denjenigen Freiheitsgrad genießt, den die Verfassung beim Wahlakt eigentlich voraussetzt,“ habe das Recherchemagazin in zulässiger Weise zusammengefasst. Dem Juristen werde in dem Artikel nicht unterstellt, er habe hinsichtlich aller Jungwählerinnen türkischer Herkunft Bedenken in Bezug auf die Briefwahl geäußert, da sich diese generell keine unabhängige Meinung bilden könnten.

Einstweilige Verfügung bezüglich Aussagen zu Wahlprüfungsbeschwerde

Die einstweilige Verfügung betraf nun lediglich folgenden Punkt: Der Artikel hatte es so wiedergegeben, Vosgerau halte den Vorschlag, „man könne vor den kommenden Wahlen ein Musterschreiben entwickeln, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen, für denkbar: Je mehr mitmachten, stimmt er zu, umso höher die Erfolgswahrscheinlichkeit.“

Nach Auffassung der Kammer sei diese Passage dahingehend zu verstehen, der Antragsteller habe sich jedenfalls sinngemäß so geäußert, die Wahrscheinlichkeit, dass Wahlprüfungsbeschwerden Erfolg hätten, sei umso größer, je mehr Beschwerden eingelegt würden. Mit seinem Antrag hatte Vosgerau aber geltend gemacht, ein massenhaftes Vorgehen gerade nicht befürwortet und darauf hingewiesen zu haben, der Erfolg einer Wahlprüfungsbeschwerde hänge nicht davon ab, wie oft sie eingereicht werde, sondern davon, wie gut sie begründet sei. Infolgedessen sei es an Correctiv gewesen, im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens die Richtigkeit des Zitats darzulegen und glaubhaft zu machen. Zum genauen Inhalt der diesbezüglichen Äußerungen Vosgeraus hätten sie nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht konkret vorgetragen. Das Gericht habe deshalb von der Unrichtigkeit des Zitats auszugehen, so dass Vosgerau insoweit ein Unterlassungsanspruch zustehe.

Reaktionen auf die Entscheidung

Gegen die Entscheidung, die ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, ist zunächst der Widerspruch statthaft mit der Folge, dass das Gericht aufgrund mündlicher Verhandlung von Neuem zu entscheiden hätte. Soweit der Antrag erfolgslos geblieben ist, steht dem Antragsteller das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu, über die das Hanseatische Oberlandesgericht zu entscheiden hätte.

Vosgeraus Anwalt Brennecke hat in einer Pressemitteilung bereits angekündigt, gegen die Entscheidung vorzugehen. Zudem betont er darin den errungenen Teilsieg und titelt mit „Einstweilige Verfügung gegen Correctiv erlassen: Landgericht Hamburg verbietet Falschbehauptung von Correctiv“, stellt den Gegenstand der Entscheidung aber direkt danach mit „Wahlprüfungsbeschwerden: Falschbehauptung verboten“ klar. Das Verfahren wertet er abschließend als „vollen Erfolg“, bezieht sich darin aber vornehmlich auf die Wirkungen seiner Litigation-PR.

Feldmann äußerte sich in den Medien ebenfalls positiv über den Ausgang des Verfahrens. Er betont, dass Correctiv überwiegend gewonnen habe, nur einen kleinen Teil des Artikels korrigieren müsse und alles andere stehenbleiben könne. Bereits vor Ergehen der Entscheidung hatte Feldmann gegenüber beck-aktuell allerdings gesagt, er könne sich bereits vorstellen, wie gewisse Kreise selbst einen Teilsieg instrumentalisieren würden.

Damit sollte er Recht behalten: Die bereits im Vorfeld zu beobachtende Tendenz unter einschlägigen Medien sowie Rechten und Rechtsextremen, die Bedeutung des Verfahrens aufzublähen, um die der Enthüllungen zu verharmlosen, zeigt sich nun auch in den Reaktionen auf dessen Entscheidung. So postete Alice Weidel (AfD) etwa „Das von Correctiv mutmaßlich mit Unterstützung der Bundesregierung errichtete Lügengebilde bekommt nicht nur Risse, es fällt krachend in sich zusammen,“ und bezieht sich dabei auf Julian Reichelts rechtsgerichtetes Newsportal NIUS.

Der auf Twitter sehr aktive Anwalt Chan-Jo Jun, der sich bereits seit Beginn des Verfahrens für eine sachliche Rezeption des Verfahrens einsetzt, bemühte sich auf X hingegen um ein klares Verständnis davon, dass alle weiteren Kerntatsachen des Berichts sowie die darauf basierenden Meinungsäußerungen vom Gerichtsentscheid unberührt bleiben. Hierzu zeigt er Screenshots einiger der – unbeanstandeten – Fakten wie etwa, dass gesagt wurde, „das Straßenbild müsse sich ändern, ausländische Restaurants unter Druck gesetzt werden“; außerdem von zulässigen Wertungen wie, dass der „Masterplan“ – de facto in der Einladung zu dem Treffen so benannt – „die Vertreibung der Menschen mit Migrationshintergrund, auch deutscher Staatsbürger“ umfasse.

ahe