Wurde einem Journalisten, der im Ausland inhaftiert war, ausreichend diplomatischer Schutz gewährt? Dies, so das BVerfG, müssten Journalisten im Nachhinein gerichtlich klären lassen können. Sofern ihnen ein entsprechendes Feststellungsinteresse abgesprochen werde, verletze dies das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines deutschen Journalisten, der im Rahmen eines Aufenthalts in Venezuela festgenommen und vier Monate vom venezolanischen Geheimdienst inhaftiert worden war, teilweise stattgegeben. Nach seiner Haftentlassung und der Rückkehr nach Deutschland hatte er vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin geklagt. Er wollte festgestellt wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihm weder hinreichenden diplomatischen Schutz noch ausreichende konsularische Betreuung gewährt habe. Insbesondere habe das Auswärtige Amt weder öffentlich gegen seine Inhaftierung protestiert noch gegenüber der venezolanischen Regierung seine Freilassung gefordert.
Das BVerfG entschied, dass die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin und des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg das Grundrecht des Journalisten auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes (GG) verletzt hätten. Die Gerichte hatten seine Klage teilweise als unzulässig abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Das BVerfG stellte nun fest, dass die Gerichte die Gefahr einer Wiederholung zu streng bewertet und die besonderen Hindernisse, die eine Klage während der Haft im Ausland mit sich bringt, nicht ausreichend berücksichtigt hätten. Das Verfahren wurde an das VG zurückverwiesen, damit die Klage erneut geprüft wird (BVerfG, Beschluss vom 11.12.2024, 1 BvR 1426/24).
Journalist wurde in Venezuela inhaftiert
Im Jahr 2017 reiste der deutsche Journalist Billy Six, der in der Vergangenheit für die rechtskonservative Wochenzeitung „Junge Freiheit“ geschrieben hatte, nach Venezuela, um die wirtschaftliche Lage des Landes zu dokumentieren. Während seines Aufenthalts fotografierte er Militärparaden anlässlich des Nationalfeiertags und Staatspräsident Nicolás Maduro bei einer Wahlkampfveranstaltung innerhalb einer Sicherheitszone.
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Am 17. November 2018 wurde Billy Six daraufhin verhaftet und in das Geheimdienstgefängnis El Helicoide in Caracas gebracht. Ein Militärgericht verurteilte ihn zu einer knapp viermonatigen Haftstrafe mit der Begründung, er habe sich der Spionage und Rebellion schuldig gemacht. Ein Vorwurf der in Venezuela mit bis zu 28 Jahren Haft bestraft werden kann. Während seiner Inhaftierung klagte Billy Six über die unmenschlichen Haftbedingungen und trat zeitweise in einen Hungerstreik, um auf sein Schicksal aufmerksam zu machen.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im März 2019 erhob er Vorwürfe gegen die Bundesregierung wegen angeblich unzureichender Unterstützung während seiner Inhaftierung.
Klage wegen unzureichender Unterstützung
2020 erhob der Journalist schließlich am VG Berlin Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland (konkret die Bundesregierung), da er sie für unzureichende Unterstützung während seiner Inhaftierung in Venezuela verantwortlich machte. Er wollte gerichtlich feststellen lassen, dass der Staat seine Schutzpflichten verletzt hatte. Das VG Berlin erklärte die Klage jedoch für unzulässig, da sie ein „erledigtes Rechtsverhältnis“ betraf. Die Klage hätte während seiner Haft eingereicht werden müssen, was praktisch aber nicht möglich war. Kritiker bemängelten, dass das Gericht die praktischen Schwierigkeiten nicht ausreichend berücksichtigte.
Nach der Ablehnung der Klage beim VG Berlin versuchte Billy Six, gegen die Entscheidung Berufung beim OVG Berlin-Brandenburg einzulegen. Das OVG lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung ab und bestätigte das Urteil des VG Berlin.
Das OVG begründete dies damit, dass keine ernstlichen Richtigkeitszweifel vorlägen. Es wurde festgestellt, dass ein Feststellungsinteresse nicht gegeben sei, da eine Wiederholungsgefahr nicht nachgewiesen wurde. Die Gefahr einer erneuten Verhaftung sei nicht absehbar. Auch das Feststellungsinteresse bezüglich schnell erledigter Ereignisse wie der Verhaftung wurde abgelehnt. Zudem gab es keine wiederkehrende rechtliche Praxis für einen öffentlichen Protest gegen die Verhaftung eines Deutschen im Ausland. Schließlich bemängelte das OVG, dass sich Billy Six nicht ausreichend mit den Gründen des VG Berlin auseinandergesetzt habe.
BVerfG gibt Verfassungsbeschwerde von Journalist teilweise statt
Nachdem das OVG Berlin-Brandenburg die Berufung von Billy Six abgelehnt hatte, legte er Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Billy Six rügte eine Verletzung mehrerer Grundrechte gemäß den Artikeln des GG.
Er argumentierte, dass seine Menschenwürde gemäß Artikel 1 Abs. 1 GG durch die Untätigkeit der deutschen Behörden bei seiner Inhaftierung verletzt wurde. Zudem beklagte er eine Verletzung seines Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Abs. 1 GG, da die Bundesregierung nicht genug unternommen habe, um seine körperliche Unversehrtheit während der Haft zu schützen.
Er sah auch eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Fällen, in denen sich die Bundesregierung aktiv für die Freilassung von im Ausland inhaftierten Staatsbürgern eingesetzt hatte, was eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Artikel 3 Abs. 1 GG darstellte. Darüber hinaus führte Billy Six an, dass seine Pressefreiheit gemäß Artikel 5 Abs. 1 GG durch das Versäumnis des Staates, für seine Freilassung zu kämpfen, beeinträchtigt wurde, da dies seine journalistische Tätigkeit gefährdete. Schließlich rügte er die Abweisung seiner Klage durch die unteren Gerichte, was seiner Ansicht nach sein Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Artikel 19 Abs. 4 GG verletzte. Er forderte das BVerfG daher auf, seine Klage inhaltlich zu entscheiden und die formale Ablehnung der Fachgerichte zu überprüfen.
Soweit die Klage mit der Begründung mangelnden Feststellungsinteresses als teilweise unzulässig abgewiesen worden sei, würden die gerichtlichen Entscheidungen den Journalisten in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzen, so das BVerfG. Das BVerfG kritisierte u.a. eine enge Auslegung der Wiederholungsgefahr, die den Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG untergraben könnte. Das Gericht stellte klar, dass es nicht notwendig sei, dass zukünftige behördliche Maßnahmen exakt die gleichen Umstände wie in der Vergangenheit hätten. Es reiche aus, dass Billy Six erklärt habe, weiterhin als Journalist in Krisengebieten arbeiten zu wollen. Zudem bemängelte das BVerfG, dass die Verwaltungsgerichte nicht geprüft hatten, ob das Auswärtige Amt bei einer erneuten Inhaftierung von Six gleich handeln würde.
Das BVerfG widersprach auch der Ansicht, dass es kein Feststellungsinteresse gebe, da inhaftierte Deutsche häufig keine gerichtliche Entscheidung während ihrer Haft erwarten könnten. Die Inhaftierung schränke die Möglichkeit ein, Klage zu erheben, besonders da der Inhaftierte oft nicht wisse, welche Maßnahmen das Auswärtige Amt ergreife. Eine solche Rechtsauffassung würde dazu führen, dass gerichtlicher Rechtsschutz praktisch nicht erreichbar wäre.
Die Entscheidung des BVerfG verdeutlicht, dass der Staat auch im Ausland für den Schutz seiner Staatsbürger sorgen muss. Künftige Urteile könnten weiter klären, wie der Rechtsschutz in solchen Fällen gesichert bleibt und das Handeln des Auswärtigen Amts einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt.