Der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau, der an dem Geheimtreffen von Rechten und Rechtsextremen in Potsdam teilgenommen hat, hat nun vollumfänglich vor dem OLG Hamburg gegen Correctiv verloren. Es ging um die Darstellung seiner Aussagen in dem Bericht „Geheimplan gegen Deutschland“. Das OLG Hamburg nutzte in diesem und einem Parallelverfahren die Gelegenheit, um Fehldeutungen der Gegenseite zu dem, was Correctiv im Verfahren wirklich gesagt hat, klarzustellen.
Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg hat die sofortige Beschwerde des Staatsrechtlers Ulrich Vosgerau (CDU), Teilnehmer des „Potsdamer Geheimtreffens“, gegen den vorhergehenden Beschluss des Landgerichts (LG) Hamburg zurückgewiesen. Vosgerau stünden keine Unterlassungsansprüche gegen das investigative Recherchemagazin Correctiv zu. Das Gericht befand, dass die beanstandeten Äußerungen von Correctiv weder einen unzutreffenden Eindruck vom Inhalt der an Vosgerau gerichteten Rechercheanfrage erweckten noch seine Antworten darauf im Artikel unzulässig verkürzt worden seien (Beschl. v. 26.03.2024, Az. 7 W 34/23). Auch die Beschwerde des im Artikel erwähnten AfD-Großspenders (Unternehmer Klaus Nordmann), der vor allem dagegen vorgegangen war, dass sein Name in dem Artikel im Zusammenhang mit seiner Spende erwähnt wurde, blieb erfolglos (Beschl. v. 26.03.2024, Az. 7 W 33/24).
Bemerkenswert an diesen beiden Verfahren sind aber nicht so sehr die Inhalte der Entscheidungen, sondern die (teils zwischen den Zeilen lesbare) Kritik des OLG Hamburg zu der Art und Weise, wie das Verfahren geführt und von der Seite der Antragssteller (Vosgerau und der AfD-Spender, beide vertreten von Carsten Brennecke von der Kanzlei Höcker) instrumentalisiert wurde.
Hintergrund: Die Litigation-PR rund um die Correctiv-Prozesse
Zum Hintergrund: Anlass der Verfahren war der Correctiv-Bericht „Geheimplan gegen Deutschland“, in dem über ein Treffen von Rechten und Rechtsextremen, auch aus der AfD und der CDU bzw. Werteunion, berichtet wurde. Die Anwesenden debattierten über einen „Masterplan“, wie man Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund perspektivisch aus Deutschland vertreiben könnte. Der erste Redner des Treffens, der rechtsextreme Österreicher Martin Sellner, unterteilte Menschen dazu in drei „Zielgruppen“: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Während die Ausweisung der ersten beiden Gruppen wohl nicht in Frage stand, wurde in dem Artikel ausdrücklich dargestellt, dass er die deutsche Staatsbürgerschaft der dritten Gruppe als „Problem“ sah – weil man sie ja aus rechtlichen Gründen nicht ausweisen könne. So wurde, wie weiter im Artikel ausgeführt, über andere Methoden der „Remigration“ dieser deutschen Staatsbürger debattiert: Etwa solle es „für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein“, weiterhin hier zu leben. Man müsse einen „hohen Anpassungsdruck“ auf die Menschen ausüben, zum Beispiel über „maßgeschneiderte Gesetze“. Auch von einem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft im Fall einer doppelten ist die Rede. Schließlich wurde über einen „Musterstaat“ in Nordafrika nachgedacht, in den man bis zu zwei Millionen Menschen „hinbewegen“ könne, ebenso die Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzten.
In der Folge der Berichterstattung ging Millionen Menschen auf die Straße, die AfD verlor in Umfragen mehrere Prozentpunkte und es wurde intensiver denn je über ein Verbot der Partei oder einzelner Verbände diskutiert. Kein Wunder, dass die Teilnehmenden angesichts dieser Publicity gegen den Artikel rechtlich vorgehen würden. Tatsächlich aber geschah das nur in sehr geringem Umfang – lediglich zwei Verfahren sind aus der Veröffentlichung erwachsen: Eben die von Vosgerau und des Spenders. Und beide gingen obendrein nur gegen Nebensächlichkeiten vor, die speziell ihre Person betrafen, nicht aber gegen Kernaussagen der Recherche. Der Grund hierfür lag darin, dass die Fakten im Artikel korrekt waren und die darauf basierenden Meinungsäußerungen des Magazins nicht angreifbar.
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Nun versuchte aber der Anwalt der beiden Antragsteller, Carsten Brennecke von Höcker Rechtsanwälte, mittels sogenannter „Litigation-PR“ in den (sozialen) Medien die Verfahren zu nutzen, um die Bedeutung des Correctiv-Artikels in der Öffentlichkeit herunterzuspielen bzw. umzudeuten. Vor allem Personen und Medien vom rechten Rand nahmen diese Argumentation dankbar auf.
Brennecke wurde dennoch nicht müde, in jedem Tweet, Post oder Zitat in Zeitungen zu betonen, dass bei dem Treffen ja nicht darüber gesprochen worden sei, deutsche Staatsbürger nach rassistischen Kriterien auszuweisen. Dies sei aber der „Hauptvorwurf“, der die Menschen auf die Straße treibe und der stimme ja nicht. IT-Anwalt Chan-Jo Jun entlarvte diese Argumentation in einem Video als sog. „Strohmanargument“: Dabei stellt man eine Behauptung auf, die angeblich gesagt wurde, und entkräftet diese dann. Tatsächlich aber hatte Correctiv diese Behauptung nie im Bericht aufgestellt. Brennecke meinte aber, Correctiv würde durch seine wertenden Aussagen im Bericht den Eindruck erwecken, darüber sei tatsächlich debattiert worden. Um seine öffentlichkeitswirksamen Äußerungen zu unterstreichen, reichte er sieben eidesstattliche Versicherungen von Teilnehmenden zu diesem für das Verfahren völlig irrelevanten Punkt ein. Correctiv, vertreten durch Thorsten Feldmann von JBB Rechtsanwälte, konterte – ebenfalls medienwirksam – mit acht eidesstattlichen Versicherungen, in denen sie aber nur sagten, dass ihre Recherche stimme. Das LG Hamburg, die Vorinstanz in diesem Verfahren, sagte zu der Litigation-PR in einer Pressemitteilung, dass solche Inhalte überhaupt „nicht Gegenstand der Entscheidung“ gewesen seien.
Nach dem LG Hamburg kontert auch das OLG gegen die Litigation-PR
In dem Verfahren um den Spender Nordmann äußerte sich das OLG nun folgendermaßen: „Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang zudem, dass [Correctiv] keineswegs ‚klargestellt und unstreitig gestellt‘ hat, dass ‚die durch manipulativ inszenierte Wertungen erweckte Vorstellung von Lesern und Medien, auf dem Treffen sei die Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien, wie Hautfarbe, besprochen worden, falsch‘ sei. Dies hatte Nordmann dem Magazin vorgeworfen. Tatsächlich habe Correctiv nur gesagt, dass „in diesem Verfahren nicht umstritten sei, dass auf dem Treffen (…) nicht weiter erörtert wurde, welche Möglichkeiten bestehen, aktuell deutsche Staatsbürger (…) unmittelbar auf Grundlage rassistischer Kriterien auszuweisen. (…) Im Gegenteil: Die deutsche Staatsbürgerschaft“ habe Sellner ausdrücklich „als juristische Sperre für eine Ausweisung anerkannt. Allen Anwesenden war bewusst, dass insbesondere die grundrechtlichen Hürden dafür zu hoch sind.“ Und genau so steht das auch im Artikel.
Hierzu hebt das Gericht im Verfahren von Vosgerau hervor, dass Correctiv in seinem Artikel die Pläne der Teilnehmenden zur „Remigration“ deutscher Staatsbürger explizit so wiedergegeben hat, dass dies nach geltendem Recht nicht möglich und daher noch ein Zukunftsprojekt sei. Dies zeigten verschiedene Formulierungen im wie etwa: „Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können.“ Oder auch durch die im Artikel wiedergegebene Antwort Sellners, dass es „maßgeschneiderte Gesetze“ brauche und Remigration „ein Jahrzehnteprojekt“ sei. Hierdurch werde dem Leser deutlich, dass die Möglichkeit für eine solche Maßnahme auch nach Sellners Ansicht gerade noch nicht bestehe, sondern erst noch geschaffen werden müsse, so das OLG.
Auch die Rechercheanfrage von Correctiv an Vosgerau erwecke nicht den Eindruck, dass auf der beschriebenen Veranstaltung vom 25.11.2023 bei Potsdam die „Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien besprochen“ oder „geplant“ worden sei.
Außerdem beschreibt das OLG dann sehr feinsinnig den eigentlichen moralischen Vorwurf, um den es im Artikel geht: Vosgerau wollte u.a. erreichen, dass Correctiv ihn damit zitiert, dass auch nach seiner Ansicht eine Ausbürgerung deutscher Staatsbürger rechtlich nicht möglich sei. Daraufhin schreibt das Gericht, es erschließe sich nicht, dass diese Ergänzung seine Person in einem wesentlich günstigeren Licht hätte erscheinen lassen: Er habe schließlich weder die Aussagen auf dem Treffen bestritten noch gesagt, dass er selbst aus ethischen oder rechtlichen Gründen gegen einen Versuch sei, auch deutsche Staatsangehörige langfristig zum Verlassen des Landes zu bewegen bzw. zu drängen.Touché.
Im Verfahren des AfD-Großspenders Nordmann fielen weitere interessante Sätze, welche die Idee Brenneckes mit dem „Hauptvorwurf“ entkräften: Danach seien die Ausführungen im Hinblick auf deutsche Staatsbürger zwar ein gewichtiger Teil der Recherche, doch beruhe das öffentliche Interesse nicht allein auf diesen Aspekten. Vosgeraus Anwalt hatte seine Litigation-PR ja stets so gedreht, dass der Vorwurf der rechtswidrigen Ausweisung nach rassistischen Kriterien der „Hauptvorwurf“ des Artikels gewesen sei.
Schließlich lässt sich ein weiterer Satz des Vosgerau-Beschlusses, in dem es eigentlich um etwas anderes (nämlich die Konfrontation mit den laut Correctiv „zentralen Aussagen“ des Treffens) geht, zumindest gedanklich auf die Litigation-PR übertragen. So schreibt das Gericht: „Welche der zahlreichen Aussagen im Hinblick auf das Thema „Remigration“ [..] die „zentralen“ sind, ist in erster Linie eine Frage der Bewertung, nämlich der eigenen Maßstäbe desjenigen, der sich in dieser Weise äußert.“ Ganz im Sinne dieser Aussage des Gerichts könnte man daraus auch ableiten: Was der Hauptvorwurf des Artikels ist, liegt in der Bewertung desjenigen, der den Artikel interpretiert.
Was hat das Gericht in beiden Fällen inhaltlich entschieden?
Vosgerau hatte ursprünglich vor dem LG Hamburg drei Passagen angegriffen. Lediglich in einem kleinen Punkt hatte er in der ersten Instanz Recht bekommen: De facto hatte Vosgerau bei dem Treffen angeboten, Musterschreiben für Wahlprüfungsbeschwerden zu entwickeln, um demokratische Wahlen anzuzweifeln. Correctiv darf aber nicht mehr schreiben, dass er gesagt hätte „je mehr mitmachen, umso höher die Erfolgswahrscheinlichkeit“. In zwei weiteren Punkten unterlag Vosgerau hingegen bereits in der ersten und nun auch in der zweiten Instanz.
Im ersten offenen Punkt griff Vosgerau die im Artikel verwendete Formulierung an, „an die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich aber nicht erinnern können“. Vosgerau beanstandete zunächst, dass Correctiv dadurch den Eindruck erwecke, er sei explizit zu der „Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien“ befragt worden. Vosgerau wollte außerdem, dass seine Stellungnahme auf die Konfrontation mit den Vorwürfen vollständig wiedergegeben würde. Inklusive der Aussage, er halte die „Ausweisung“ deutscher Staatsbürger nicht für möglich und hierzu habe sich auf dem Treffen auch niemand geäußert. Das sah nun aber auch das OLG Hamburg anders. Zum einen habe Correctiv seine Antwort zusammenfassen dürfen. Zum anderen seien Presseorgane grundsätzlich frei in ihrer Entscheidung, worüber sie berichten wollen. Daher bestehe für sie grundsätzlich keine Verpflichtung, jede ihnen vorliegende Information zu veröffentlichen, insbesondere nicht „überschießende“ Antworten, die über das Gefragte hinausgingen. Anderes gelte nur, wenn das Weglassen ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit ergeben würde – das sei hier aber nicht der Fall.
Im zweiten Punkt ging es darum, dass Correctiv schrieb, Vosgerau habe in seinem Vortrag bei dem Treffen über Briefwahlen und im Zusammenhang damit über „Bedenken in Bezug auf junge Wählerinnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten,“ gesprochen. Vosgerau wollte, dass seine Antwort auf die Konfrontation mit diesem Vorwurf genauer zitiert würde. Doch auch das OLG meinte nun, Correctiv habe auch hier seine Antwort entsprechend zusammenfassen und in eigenen Worten wiedergeben dürfen. Damit zeichne Correctiv kein falsches Bild vom Inhalt der Antwort Vosgeraus.
Im Fall des auf dem Treffen genannten Spenders Nordmann bestätigte das OLG die Ansicht der Vorinstanz, dass hier ein „äußerst gewichtiges öffentliches Interesse“ auch an der Namensnennung bestehe. Auch der Berichterstattung als solcher quittierte das OLG, das LG zitierend, ebenfalls ein „überragendes öffentliches Interesse“. Dies würden das enorme Medienecho und die Demonstrationen „von historischen Ausmaßen“ zeigen. Auch als „AfD-Großspender“ habe Nordmann bezeichnet werden dürfen. Schließlich hätte Correctiv ihn nicht mit seiner Stellungnahme zitieren müssen, dass er sich dagegen verwahre, „mit derartigem Unfug“ konfrontiert zu werden. Auch die Darstellung zum Spendenverhalten sei laut OLG ebenfalls rechtmäßig, da kein falscher Eindruck über eine explizite Finanzierung der Organisation eines österreichischen Rechtsextremisten Sellner durch den Kläger erweckt werde. Zudem beträfen, wie das LG zuvor ausgeführt hatte, die Äußerungen zum Spendenverhalten lediglich seine Sozialsphäre.
Juristische Fehde wohl beendet – der gesellschaftliche Prozess aber nicht
Es sieht so aus, als wäre dies das Ende des Rechtsstreits zwischen Vosgerau und Correctiv. Weitere Schritte im Eilverfahren sind nicht möglich. Vosgerau und der Spender könnten zwar noch ein Hauptverfahren starten, aber die Chancen stehen schlecht, da die ersten Urteile vermutlich bestätigt würden. Auch die Zulassung der Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) scheint unwahrscheinlich, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Auch eine Nichtzulassungsbeschwerde wäre wohl erfolglos, weil hier lediglich unwichtige Nebenaspekte angegriffen wurden.
Vosgeraus Anwalt sieht den Prozess dennoch als Erfolg, wegen der Wirkung seiner Litigation PR – die sowohl LG als auch OLG Hamburg aber durchaus kritisch sahen und das auch so äußerten. Correctiv kommt aber dennoch als der eigentliche Gewinner aus den Verfahren heraus.
Und letztlich geht es trotz dieses Rechtsstreits wohl auch weniger ums Gewinnen oder Verlieren, sondern um die Sache an sich. Die Gefahr durch den stetigen Rechtsruck und die zunehmende Gefährlichkeit der neuen Rechten sollte man bei allem Juristischen nicht aus den Augen verlieren.
ahe
Transparenzhinweis: Der Artikel wurde nach der Veröffentlichung noch an mehreren Stellen ergänzt.