Die Staatsanwaltschaft Berlin hat FragDenStaat-Redakteur Arne Semsrott wegen des Veröffentlichens von Gerichtsdokumenten angeklagt. Die GFF, die ihn unterstützt, hält dagegen: Grundlage für die Strafverfolgung sei eine verfassungswidrige Strafnorm, die die Pressefreiheit gefährde.

Von Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat gegen Arne Semsrott, Chefredakteur von FragDenStaat, wegen der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen gem. § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) Anklage zum Landgericht (LG) Berlin erhoben. Semsrott wird u.a. von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt, die zu dem Verfahren auch eine Pressemitteilung herausgegeben haben. Kernpunkt ihrer Verteidigung ist, dass die Strafnorm verfassungswidrig sei und gegen die Pressefreiheit verstoße.

Semsrott veröffentlicht Gerichtsentscheidungen aus laufendem Verfahren

Semsrott hatte im August 2023 auf der Rechercheplattform FragDenStaat über die Ermittlungsmaßnahmen gegen die „Letzte Generation“ und den unabhängigen Sender Radio Dreyeckland berichtet. Im Zuge dessen hatte er vier relevante Gerichtsbeschlüsse, u.a. des LG München, veröffentlicht und sich vertieft mit deren Argumentation auseinandergesetzt. Darin ging es um Durchsuchungen bei der „Letzten Generation“ und die Überwachung ihres Pressetelefons.

Er habe dabei bewusst Strafanzeigen riskiert, so die GFF. Denn die einschlägige Strafnorm (§ 353d Nr. 3 StGB) verbietet ohne Ausnahme jede Veröffentlichung des Wortlauts von Dokumenten eines laufenden Strafverfahrens vor der Hauptverhandlung. Das umfasst Ermittlungsakten ebenso wie  Gerichtsentscheidungen. Es drohen eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Ziele des Verbots sind es, Betroffene vor Vorverurteilung und Bloßstellung zu schützen und die Unvoreingenommenheit von Zeugen und Laienrichtern zu garantieren.

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Andere Medien sahen dementsprechend davon ab, die Beschlüsse zu veröffentlichen, zum Teil wiesen sie dabei ausdrücklich auf das Verbot hin. Die Staatsanwaltschaft Berlin leitete dementsprechend erwartbar ein Ermittlungsverfahren gegen Semsrott ein. Nun hat sie Anklage erhoben, wegen der besonderen Bedeutung des Falls sogar zum Landgericht.

GFF: Strafvorschrift verfassungswidrig

Die Strafvorschrift sei jedoch verfassungswidrig, so die Hauptverteidigungslinie der GFF. Sie erschwere die Berichterstattung über Strafverfahren und schränke die Pressefreiheit unverhältnismäßig ein. Die Norm berücksichtige nicht, wie groß das öffentliche Interesse an den Gerichtsbeschlüssen ist und ob überhaupt Nachteile für das Strafverfahren oder die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten drohen, so Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. § 353d Nr. 3 StGB sei damit Ausdruck einer veralteten Vorstellung von Medienöffentlichkeit. Es sei ein „Skandal, dass der Gesetzgeber noch immer nicht die Norm gestrichen hat oder wenigstens eine Ausnahme zugunsten der Pressefreiheit eingeführt hat“, betont der Angeschuldigte Semsrott. Die Frage, inwieweit an den Beschlüssen von Staatsanwaltschaft oder Gerichten ein öffentliches Interesse besteht, falle in den Kernbereich journalistischer Arbeit. Diese notwendige Abwägung werde an dieser Stelle durch das ausnahmslose Veröffentlichungsverbot verhindert.

Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch zuletzt der Bundesgerichtshof (BGH) hätten in ihrer Rechtsprechung betont, dass eine Abwägung mit der Pressefreiheit stets erforderlich sei und die Strafbarkeit kein Automatismus sein dürfe, führt die GFF weiter aus. Der BGH habe sogar die Verfassungsmäßigkeit der Norm konkret in Zweifel gezogen. Dementsprechend lautet das Ziel der GFF, das Verfahren perspektivisch bis vor den BGH und letztlich auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu bringen.

Dementsprechend habe GFF zusammen mit weiteren Organisationen kürzlich beim Bundesministerium der Justiz (BMJ) eine Stellungnahme zum Reformbedarf im Strafgesetzbuch eingereicht, in der die Abschaffung dieser Strafnorm gefordert wird.

Pressemitteilung der GFF / ahe