Am 5. Dezember 2019 einigten sich die Ministerpräsidenten der Bundesländer nach jahrelangen Verhandlungen auf einen Gesetzesentwurf für den neuen Medienstaatsvertrag. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) nannte die Einigung „einen medienpolitischen Meilenstein, mit dem die Länder auf die digitale neue Welt reagieren“. Nun haben alle 16 Bundesländer das Vertragswerk ratifiziert. Am 7. 11. 2020 ist der Vertrag schließlich in Kraft treten. Was die wichtigsten Neuregelungen sind, erfahren Sie in diesem Artikel.
Der Medienstaatsvertrag wird den bisherigen Rundfunkstaatsvertrag ablösen. Neu ist, dass sich dieser nun nicht mehr nur an Radio- und Fernsehprogramme richtet. Zusätzlich sind auch Internet-Suchmaschinen, Streaming-Anbieter, Social-Media-, Video-Sharing- und Distributionsplattform ebenso wie Smart-TV, Sprachassistenten und auch App-Stores erfasst.
Ziel ist es, insbesondere auf große Internetplattformen wie Google oder Facebook einzuwirken, die enormen Einfluss auf den Zugang und die Auffindbarkeit von Medieninhalten ausüben. So soll die Meinungsvielfalt sowie der Jugend- und Verbraucherschutz nachhaltig sichergestellt werden.
Mit dem Medienstaatsvertrag werden unter anderem Vorgaben aus der „EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste“ (AVMD-Richtlinie) umgesetzt. Die EU-Kommission prüfte bisher, ob die insgesamt 124 Paragraphen des Medienstaatsvertrags mit den Regelungen der AVMD-Richtlinie vereinbar sind. Hier kam sie Ende April 2020 zu einem positiven Ergebnis. Schließlich wurde das Vertragswerk von den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer unterzeichnet. Dann mussten noch die Länderparlamente zustimmen. Mit dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat am 28. 10. 2020 das letzte Landesparlament seine Zustimmung erteilt und damit den Vertrag ratifiziert. Am 7. 11. 2020 ist der Vertrag nun in Kraft getreten.
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Neue Definition des Rundfunkbegriffs
Was ändert sich nun genau durch den neuen Medienstaatsvertrag? Der bisherige Rundfunkstaatsvertrag definiert den Rundfunk als
„die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans mittels Telekommunikation“.
Davon waren bisher Angebote ausgenommen, die nur
„500 potenziellen Nutzern zum zeitgleichen Empfang angeboten werden und nicht journalistisch-redaktionell gestaltet sind“.
Dies bedeutete bisher, dass sich viele Betreiber von YouTube-, insbesondere Gaming-Kanälen, um eine Rundfunklizenz bemühen mussten (Hierzu unser Beitrag). Verunsicherung und Streitigkeiten mit der Medienaufsicht waren die Folge.
Im neuen Medienstaatsvertrag wird die genannte Definition des Rundfunkbegriffs beibehalten. Hingegen werden die Ausnahmen von der Lizenzpflicht anders geregelt. Keine Rundfunklizenz benötigen künftig Rundfunkprogramme, die nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten. Gleiches gilt für Rundfunkprogramme, die im Durchschnitt von sechs Monaten weniger als 20.000 gleichzeitige Nutzer erreichen oder in ihrer prognostizierten Entwicklung erreichen werden. Dadurch können viele Betreiber von YouTube-Kanälen mit einer geringeren Reichweite nun aufatmen.
Umgestaltung der Werberegelungen für private Fernsehsender
Derzeit dürfen Fernsehsender pro Stunde maximal 20 Prozent, also 12 Minuten, Werbung ausstrahlen. Ab sofort sollen die Werberegelungen allerdings flexibler gestaltet werden. So ist es in der AVMD-Richtlinie vorgesehen. Die Werbung darf künftig innerhalb zweier Zeitfenster einen Umfang von bis zu 20 Prozent ausmachen. Im ersten Zeitfenster von 6.00 bis 18.00 Uhr darf Werbung im Umfang von maximal 144 Minuten gezeigt werden. Im zweiten Zeitfenster von 18.00 bis 0.00 Uhr, das sich über die Primetime erstreckt, beträgt die maximal zulässige Werbedauer künftig 72 Minuten. Es ist absehbar, dass dadurch die privaten Fernsehsender während der Primetime pro Stunde mehr Werbung zeigen werden.
Transparenzpflichten und Diskriminierungsverbote für Medienintermediäre
Die großen US-amerikanischen Internet-Konzerne wie Google, Facebook und Twitter fallen laut dem neuen Medienstaatsvertrag unter den Begriff der sogenannten Medienintermediäre. Ein Medienintermediär ist laut dem Medienstaatsvertrag ein Anbieter, der
„über das Internet journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen“.
Ab sofort müssen die Medienintermediäre in verständlicher Weise informieren, nach welchen Kriterien sie journalistisch-redaktionelle Inhalte selektieren und dem Nutzer präsentieren. Dabei muss auch die Funktionsweise der eingesetzten Algorithmen beschrieben werden.
Die Medienintermediäre dürfen dabei bestimmte Angebote nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund benachteiligen oder bevorzugen.
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Neue Pflichten für Smart-TV, Sprachassistenten und Video-Streaming-Dienste
Auch so genannte Medienplattformen und Benutzeroberflächen müssen sich künftig an Transparenzvorgaben und Diskriminierungsverbote halten. Damit sind zum Beispiel Smart-TV-Geräte oder Online-Sprachassistenten, wie zum Beispiel Amazons Sprachassistent Alexa, in der Pflicht. Künftig müssen sie transparent machen, nach welchen Kriterien sie Rundfunkangebote auswählen und dem Kunden zur Verfügung stellen. Auch darüber, nach welchen Kriterien sie die Angebote sortieren, anordnen und präsentieren, müssen sie informieren.
Bestimmten Rundfunkprogrammen soll dabei eine höhere Bedeutung zukommen. So müssen öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehprogramme leicht auffindbar sein. Gleiches gilt für Rundfunkprogramme und Online-Angebote von privaten Anbietern, die in besonderem Maße einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt leisten.
Auch Streaming-Dienste sind als „rundfunkähnliche Telemedien“ vom Medienstaatsvertrag erfasst. Eine Regelung, die sie betrifft: Mindestens 30 Prozent der auf ihnen abrufbaren Inhalte müssen europäische Produktionen sein.
Gesonderte Regelungen für Video-Sharing-Plattformen
Anders als im bisherigen Rundfunkstaatsvertrag wurden in den Medienstaatsvertrag gesonderte Regelungen für Video-Sharing-Plattformen wie YouTube aufgenommen. So sollen diese einen Zustellungsbevollmächtigten bestimmen, der bei Gesetzesverstößen in Kontakt mit der Medienaufsicht tritt. Werbevorschriften, die bereits für Rundfunkprogramme gelten, z.B. zur Produktplatzierung oder Schleichwerbung, sollen künftig auch für die Video-Sharing-Plattformen gelten. Die Video-Sharing-Plattformen müssen außerdem den Jugendmedienschutz stärker als bisher beachten.
Die Landesmedienanstalten führen die Aufsicht darüber, ob künftig alle diese Neuregelungen im Medienstaatsvertrag eingehalten werden. Insgesamt ist zu beobachten, dass im neuen Medienstaatsvertrag die Zuständigkeiten der Landesmedienanstalten gestärkt werden. Sie haben die Aufgabe, die Neuregelungen des Vertrags in Satzungen zu konkretisieren.
Für viele wird der neue Medienstaatsvertrag weitreichende Folgen haben. Obwohl die Sicherstellung der Meinungsfreiheit sowie des Jugend- und Verbraucherschutzes Ziel des Vertrages ist, beklagen einige Medienvertreter die weitreichenden Regulierungen und sehen die Internetfreiheit in Gefahr.
Nun bleibt abzuwarten, was für Auswirkungen die neuen Regelungen haben werden.
mle