In presserechtlichen Verfahren muss es stets zügig vorangehen – die Presse lebt schließlich von Aktualität. Doch auch bei einstweiligen Verfügungen muss die Zeit für eine Anhörung reichen. Wenn nicht beide Verfahrensbeteiligte die Chance dazu bekommen, ist das ein Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit. Obwohl das BVerfG dies schon mehrfach feststellte, wurde dieser Grundsatz erneut von einem Gericht ignoriert – dieses Mal vom LG Berlin.

Schon 2018 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Grundsatzurteil entschieden, dass auch in presserechtlichen Eilverfahren grundsätzliche beide Parteien angehört werden müssen. Vohrer war es gang und gäbe zunächst nur die Antragstellende Partei anzuhören. Obwohl das BVerfG dieser Praxis eine deutliche Absage erteilte, führen es die Fachgerichte teils noch fort. Nun stellte das BVerfG erneut einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit durch das Landgericht (LG) Berlin fest (Beschl. v. 11.01.2022, Az. 1 BvR 123/21).

Private Fotos von Prominenter veröffentlicht

Im Berliner Fall stellte eine Prominente einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen einen Presseverlag. Der Verlag veröffentlichte im September 2020 einen Text mit Bildern über die Feier eines Richtfestes für das im Bau befindliche Anwesen der Frau. Auf mehreren Fotos waren neben der Prominenten und ihrem Lebensgefährten der Rohbau des Hauses und die Gäste bei der Feierlichkeit zu sehen. In der Berichterstattung wurde die Feier aufgrund der Corona-Pandemie kritisiert.

Die Frau mahnte den Verlag zunächst erfolglos ab. Im Oktober 2020 stellte sie dann beim LG Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, damit die Veröffentlichung des Berichts und der Bilder Unterlassen werden würde. Die Pressekammer des LG erteilte einen gerichtlichen Hinweis, worin sie Bedenken äußerte, allein der Antragstellerin und gewährte nur ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach ihrer Erwiderung erging erneut ein allein an sie gerichteter Hinweis des Gerichts, woraufhin sie den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung teilweise zurücknahm, also anpasste. Das Landgericht erließ anschließend „wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung“ die gewünschte einstweilige Verfügung, die dem Presseverlag Teile der Wort- und Bildberichterstattung untersagte. Die einstweilige Verfügung wurde dem Verlag am 07.12.2020 zugestellt.

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Wegen dem Erlass der einstweiligen Verfügung legte der veröffentlichende Verlag Beschwerde beim BVerfG ein. Er rügte eine Verletzung des Anspruchs auf prozessuale Waffengleichheit sowie der Presse- und Meinungsfreiheit.

LG verletzt Waffengleicht „offenkundig“

Das LG Berlin wurde nun mit klaren Worten vom BVerfG zurechtgewiesen. Nach Ansicht der Karlsruher Richter verletze das LG das Recht auf prozessuale Waffengleichheit offenkundig.

Die prozessuale Waffengleichheit stehe im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG. Als prozessuales Urrecht gebiete dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich sei eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag komme grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag und weiteren an das Gericht gerichteten Schriftsätzen geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Insbesondere wenn das Gericht weitere Hinweise an den Antragsteller gibt, müsse eine Anhörung des Gegners stets ermöglicht werden. Ein Geheimverfahren, das sich über mehrere Wochen erstreckt, ohne dass der Antragsgegner davon überhaupt erfährt, sei mit den grundgesetzlichen Verfahrensgrundsätzen schlicht unvereinbar.

Doch genau dies habe hier stattgefunden. Das LG habe sich im Rahmen seiner schriftlichen Hinweise allein gegenüber der Prominenten zu seiner vorläufigen Rechtsauffassung in der Sache geäußert. Sie habe daraufhin die Gelegenheit gehabt, Stellung zu nehmen. Der Verlag auf der anderen Seite habe erst nach Erlass der sie belastenden einstweiligen Verfügung erfahren, dass überhaupt ein Verfahren gegen ihn anhängig war. Auch eine Gelegenheit, sich zum weiteren Vorbringen der Antragstellerin zu äußern, sei dem Verlag nicht gegeben worden. Erschwerend komme hinzu, dass das LG dem Verlag erst nach mehrmaliger Nachfrage und zudem acht Wochen nach Erlass der gegen ihn gerichteten einstweiligen Verfügung die gerichtlichen Hinweise zukommen ließ, so dass ihm erst ab diesem Zeitpunkt das gesamte Prozessgeschehen bekannt war.

BVerfG ärgert sich nicht zum ersten Mal

Erst im Dezember erging ein ähnlicher Beschluss des BVerfG aufgrund einer einstweiligen Verfügung des OLG Hamburg gegen den Spiegel. Auch dort ergingen schon mehrere Hinweise des Gerichts an den Antragsteller bevor der Spiegel erst nach Erlass der Verfügung vom gegen ihn geführten Verfahren erfuhr. In diesem Beschluss des BVerfG wurde schon ein gewisser Ärger der Richter spürbar. Sie wiesen das OLG Hamburg ausdrücklich auf die Bindungswirkung der Rechtsprechung des BVerfG hin, das das OLG nicht zum ersten Mal das Recht auf prozessuale Waffengleichheit verletzte (Beschl. v. 01.12.2021, Az. 1 BvR 2708/19).

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