Müssen Plattformen wie Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Co. ab Kenntnis illegaler Inhalte auch proaktiv nach sinngleichen Inhalten suchen und diese sodann ohne weiteren Hinweis ebenfalls löschen? Darüber hat am 18.2.2025 der Bundesgerichtshof verhandelt. Sollte er am Ende dem sensationellen Urteil der Vorinstanz recht geben, würde der BGH Betroffenen digitaler Gewalt endlich dazu verhelfen, effektiver zu ihrem Recht kommen zu können. Zunächst aber setzte der BGH das Verfahren aus, bis der EuGH in einem anhängigen Verfahren sein Urteil sprechen wird. Medienanwalt Prof. Christian Solmecke von der Kölner Kanzlei WBS.LEGAL klärt auf:

Von Olaf Kosinsky – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de

Christian Solmecke: „Illegale Hasskommentare und diffamierende Aussagen gehören inzwischen leider zur Tagesordnung. Besonders in der aktuell hitzig geführten politischen Debatte. So sieht sich die Spitzenpolitikerin Renate Künast (Grüne) bereits seit Jahren immer wieder massiven Anfeindungen ausgesetzt. Die Verfahren um Äußerungen wie ‚Stück Scheisse‘, ‚Drecks Fotze‘ oder auch ‚Sondermüll‘ wurden seinerzeit bundesweit monatelang hitzig diskutiert.

Elementar für Betroffene ist in diesen Fällen stets die Frage, welche Verpflichtungen Plattformen wie Facebook treffen, wenn diese Kenntnis über rechtwidrige Inhalte erlangen. Bislang werden rechtswidrige Inhalte nur auf Antrag der betroffenen Personen gelöscht. Ein Zustand, der für Betroffene häufig untragbar ist, denn rechtswidrige Inhalte werden schnell zigfach geteilt und weiterverbreitet. Alle Reposts von rechtswidrigen Inhalten zu finden und zu melden, ist für Betroffene ein unmögliches Unterfangen. Identische oder ähnliche Inhalte jedoch muss man aktuell weiterhin selbst auf der Plattform suchen und diese erneut einzeln und manuell melden und Facebook zur Löschung auffordern.

Ob das so bleibt, oder sich eine Kehrtwende anbahnt, darüber wurde am Dienstag, den 18.02.2025 vor dem Bundesgerichtshof ausführlich verhandelt (BGH, Verhandlungstermin am 18. Februar 2025, 9.30 Uhr, Az. VI ZR 64/24).

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Im vergangenen Jahr hatte nämlich die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M., sensationell in einem durch Renate Künast angestrengten Verfahren geurteilt, dass Meta verpflichtet sei, entgegen bisheriger Praxis, ab konkreter Kenntnis eines rechtsverletzenden Postings nicht nur dieses, sondern ohne weiteren Hinweis auch andere sinngleiche Äußerungen zu löschen. Damit hatte Künast ein Grundsatzurteil zur Reichweite der Löschpflicht von sozialen Netzwerken erstritten. Das Ziel war für sie von Anfang an klar: ein solches Grundsatzurteil, das allen Betroffenen von digitaler Gewalt zugutekommt.

Sollte der BGH das Urteil des OLG bestätigen, käme es zu einer Kehrtwende in der bisherigen Löschpraxis. Betroffene könnten sich endlich effektiver gegen rechtwidrige Inhalte zur Wehr setzen. Dies wäre ein Meilenstein für das Persönlichkeitsrecht von Betroffenen, denn Meta wäre verpflichtet, alle auf der Plattform vorhandenen identischen sowie kerngleichen Postings proaktiv zu finden und zu entfernen. 

Die Entscheidung beträfe zudem nicht nur Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp), sondern ebenso alle anderen Social-Media- und Video-Plattformen wie YouTube, X oder TikTok.“

Zunächst aber hat der BGH nach ausführlicher Erörterung in der mündlichen Verhandlung am Ende der Sitzung das Verfahren bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in dem dort anhängigen Verfahren C-492/23 ausgesetzt.

Renate Künast verklagt Meta wegen Meme

Christian Solmecke: „Im aktuellen Verfahren hat Künast, unterstützt durch die Organisation HateAid, den Meta-Konzern auf Unterlassung der Weiterverbreitung eines Memes mit einem sogenannten Falschzitat und Schadensersatz verklagt. Ein Falschzitat liegt vor, wenn jemandem ein Zitat zugeordnet wird, welches die Person nie getätigt hat. Das in Rede stehende Meme zeigt Künast mit Bild, Vor- und Nachnamen und der Äußerung ‚Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!‘. Diese Aussage hatte Künast nie getätigt. Es sollte allein dazu dienen, Künast zu attackieren und in der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht zu rücken.

Sie klagte und ging nicht gegen den Nutzer wegen Beleidigung vor, sondern möchte Meta in Anspruch nehmen und klären lassen, welche Pflichten ein Plattformbetreiber zur Löschung eines Falschzitats hat.“

Sensationsurteil des OLG Frankfurt a. M.

Christian Solmecke: „Das Landgericht (LG) Frankfurt a. M. hatte Meta in erster Instanz entsprechend dazu verurteilt, es zu unterlassen, identische oder kerngleiche Inhalte auf der Plattform öffentlich zugänglich zu machen. Auch eine Geldentschädigung in Höhe von 10.000 Euro sollte Meta an Künast zahlen (LG Frankfurt a. M., Urteil vom 8. April 2022, Az. 2-03 O 188/21). Das OLG hatte sodann im vergangenen Jahr den Unterlassungsanspruch bestätigt und entschieden, dass Meta nicht nur eine Pflicht zur Löschung identischer Inhalte, sondern auch kerngleicher, also inhaltlich ähnlicher Inhalte habe. Zwar bestehe keine generelle Überwachungspflicht, doch müsse Meta nach Kenntniserlangung künftige Verstöße verhindern. Das gelte auch für sinngleiche Wiederholungen. Diese Verpflichtung sei notwendig, um das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Wort der betroffenen Person zu schützen.

Laut EuGH-Rechtsprechung könnten Plattformbetreiber zur Identifikation solcher Inhalte auch automatisierte Techniken einsetzen (EuGH, Rechtssache C-18/18). Wenn Algorithmen jedoch sinngleiche Abwandlungen nicht erkennen, sei es zumutbar, dass Menschen diese Inhalte bewerten, um Falschzitate zu identifizieren und zu entfernen. Dies jedenfalls sei nicht unzumutbar (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 25. Januar 2024, Az. 16 U 65/22).“

Einschätzung von Rechtsanwalt Prof. Christian Solmecke:

„Nun wird sich endlich der BGH mit dem Fall beschäftigen und höchstrichterlich zu klären haben, welche Mitwirkungspflicht Betreiber wie Meta haben. Muss Meta selbst aktiv werden, um die Veröffentlichung ähnlicher Inhalte zu verhindern oder nach Veröffentlichung umgehend zu löschen? Und was muss Meta dafür konkret tun? Darf sich der Konzern hierzu automatisierter Mechanismen bedienen oder müssen Menschen die Inhalte prüfen? Elementare und spannende Fragen, die nun hoffentlich beantwortet werden.

Bereits im Vorfeld teilte der BGH mit, dass er u. a. prüfen wird, welche Bedeutung dem EU-Recht, hier insbesondere der Datenschutzverordnung (DSGVO) sowie dem inzwischen geltenden Digital Services Act (DSA), für die Beantwortung der Frage zur Löschpflicht zukommt. Die Vorinstanzen hatten den Fall lediglich nach deutschem Recht beurteilt.

Ich würde eine erweiterte Mitwirkungspflicht von Plattformbetreibern begrüßen, denn illegale Inhalte lassen sich in Sekundenschnelle teilen und sind in der Welt, was für Betroffene oft ein Desaster ist. Daher bin ich davon überzeugt, dass Meta künftig mehr Verantwortung übernehmen muss, um die Rechte von Betroffenen zu schützen. Nur den Plattformen ist eine flächendeckende Löschung möglich, auch wenn dies bedeutet, dass Mittarbeiter händisch nach illegalen Inhalten suchen müssen. Ich hoffe, dass der BGH hier nun ein Machtwort gegen digitale Gewalt sprechen wird, damit endlich konsequent und zielführend geltendes Recht durchgesetzt werden kann.

Da dem EuGH in Luxemburg aktuell ein Fall aus Rumänien vorliegt, in dem die wesentlichen Fragen eine Rolle spielen, wartet der BGH nun zunächst die Entscheidung des EuGH ab, um dann im Fall Künast selbst zu urteilen. Um Facebook geht es im rumänischen Fall zwar nicht, sondern um den Betreiber eines Onlinemarktplatzes, doch die rechtlichen Ausführungen werden auch für dieses Verfahren von Wichtigkeit sein.“