Wie weit reicht der Quellenschutz tatsächlich? Darüber entschied nun das LG Berlin. Geklagt hatte kein Unbekannter: Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt ging dagegen vor, dass von ihm weitergegebene interne Informationen aus dem Springer-Konzern nicht geheim gehalten wurden und er als deren Quelle offengelegt wurde. Ist der ehemalige Chefredakteur dadurch in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt?

Keine Geheimhaltungsvereinbarung, kein Quellenschutz. Das musste Julian Reichelt nun auf die harte Tour vor dem LG Berlin lernen. Der Verleger der „Berliner Zeitung“ machte öffentlich, dass Reichelt ihm interne Informationen aus dem Springer-Konzern zugespielt hatte. Reichelt ging dagegen vor, sein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde aber abgewiesen – das Landgericht (LG) Berlin sah die unautorisierte Preisgabe einer Quelle als von der freien Meinungsäußerung gedeckt (Beschl. v. 06.06.2023, Az. 67 O 36/23).

Seit fast zwei Jahren darf sich Julian Reichelt nicht mehr Chefredakteur der Bild nennen.
Im Zusammenhang mit dem Ende seiner Tätigkeit hatte der Journalist Informationen über die Hintergründe seines Aus an eine Regionalzeitung weitergegeben. Laut LG Berlin wollte er damit die gegen ihn erhobene Vorwürfe durch neue Beweise entkräften.
Womit er aber nicht gerechnet hat: Dass die Regionalzeitung diese Informationen ohne Absprache mit Reichelt an Dritte weitergab, und zwar unter Nennung seiner Person als Quelle. Dies wertete der Journalist als Verletzung seines Persönlichkeitsrechts.

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Starkes Interesse der Öffentlichkeit

Diese Auffassung teilte das LG Berlin nicht und kam zum Ergebnis, dass der Journalist keine Unterlassung der beanstandeten Äußerungen nach §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 GG fordern könne. Es bestehe vielmehr ein starkes Interesse sowohl seines früheren Arbeitgebers als auch der Öffentlichkeit daran, dass er als ehemaliger Chefredakteur der Bild-Zeitung die Debatte über das Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht nur mit dem Unternehmen und möglicherweise vor unabhängigen Gerichten führt, sondern auch „über die Presse“, der er die Informationen zugespielt habe.

Zwar gehe das Gericht davon aus, dass die Regionalzeitung die erhaltenen Informationen nicht vertraulich behandelt und den Journalisten als Quelle gegenüber Dritten preisgegeben habe, was ihn sowohl seinem früheren Arbeitgeber als auch indirekt der Öffentlichkeit aussetze. Dennoch bestehe kein Anspruch auf Unterlassung. Die unautorisierte Preisgabe einer Quelle durch den Verleger werde durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Artikel 5 Abs. 1 GG geschützt.

Ohne Ver­ein­ba­rung kein Quellenschutz

Darüber hinaus könne sich der Verleger mit Erfolg darauf berufen, dass das Bestehen eines Zeugnisverweigerungs- und Geheimhaltungsrechts nicht gleichbedeutend mit dem einer Zeugnisverweigerungs- oder Geheimhaltungspflicht sei, so das Gericht. Eine erforderliche veröffentlichungsbezogene Geheimhaltungsvereinbarung („non-disclosure-agreement“) wurde zwischen den Parteien nicht vereinbart. Nach Auffassung des Gerichts mangele es dafür an zwei übereinstimmenden Willenserklärungen. Ein Vertrag sei auch nicht konkludent, also durch schlüssiges Verhalten, zustande gekommen. Somit hatte Reichelt keine vertragliche Grundlage für die Forderung der Unterlassung.

Es könne außerdem nicht angenommen werden, dass Reichelt erwartet habe, dass der Verleger ihm ungefragt umfassenden Quellenschutz gewähren würde. Aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung als Journalist hätte Reichelt wissen müssen, dass Medien, insbesondere solche mit Gewinnerzielungsabsicht, keine sicheren Häfen für Informationen und deren Quellen seien, so das Gericht. Es sei davon auszugehen, dass Informanten ohne ausdrückliche Geheimhaltungsvereinbarung nicht nur die Veröffentlichung ihrer übermittelten Informationen riskierten, sondern auch ihre eigene Enttarnung durch das Medium, dem sie die Informationen übermitteln. Am Ergebnis ändere auch der rechtlich ohnehin schon unverbindliche Pressekodex des Deutschen Presserats nichts.

Das LG Berlin betonte, dass eine nicht rechtsgeschäftlich vereinbarte Verpflichtung zum unbeschränkten Quellenschutz den verfassungsrechtlich geschützten Grundsätzen einer freien und unabhängigen Presse widersprechen würde. Damit schwächt der Beschluss des LG jedoch im Ergebnis den Quellenschutz.

agü