Um zu einer abschließenden Beurteilung einer Po­li­ti­ker­-Be­lei­di­gung durch ein Pla­kat bei einer Ver­sammlung zu kommen, darf nicht nur al­lein die Äu­ße­rung be­rück­sich­tigt wer­den, sondern es muss vielmehr auch der In­halt des Pla­kats, das Thema der De­mons­tra­ti­on sowie die An­zahl der Ver­sam­mel­ten berücksichtigt werden. Dies hat das BayObLG entschieden.

Ein Demonstrant, der auf einer Versammlung gegen die Corona-Maßnahmen ein Plakat mit der Bezeichnung „Volksschädling“ unter dem Bild von Bundeskanzler Olaf Scholz trug, bleibt straffrei. Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) entschied, dass die Aussage im Gesamtkontext der Veranstaltung zu werten- und eine Strafbarkeit wegen Beleidigung nicht gegeben sei. Zudem sei die Äußerung nicht geeignet gewesen, das öffentliche Wirken des Kanzlers erheblich zu erschweren, sodass auch der besondere Schutz für Politiker nach § 188 StGB nicht greife (BayObLG, Urteil vom 06.03.2025 – 206 StRR 433/24).

Hintergrund des Verfahrens ist der Fall eines Mannes, der am 24. April 2022 an einer Demonstration auf dem Volksfestplatz in Ingolstadt teilgenommen hatte. Die Versammlung stand unter dem Motto „Endgültiges Maßnahmenaus“ und richtete sich gegen die damalige Corona-Politik der Bundesregierung.

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Olaf Scholz als „Volksschädling“ benannt

Der Mann trug ein Plakat mit mehreren Aussagen gegen Politiker der Bundesregierung. Auf dem Plakat waren Bundeskanzler Olaf Scholz, Innenministerin Nancy Faeser und Wirtschaftsminister Robert Habeck hinter Gittern abgebildet. Sie wurden als „Totengräber der Demokratie“ und „Volksverbrecher“ bezeichnet. Unter dem Bild von Nancy Faeser befand sich der Text „10-Punkte-Plan zur Volksvernichtung“, womit sich der Demonstrant auf Faesers „10-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus“ bezog. Unter dem Bild von Robert Habeck stand die Aussage „Vaterlandsliebe findet er zum Kotzen“, was sich auf ein Zitat Habecks aus einem Buch von 2010 bezog. Unter dem Konterfei von Olaf Scholz stand das Wort „Volksschädling“.

Das Plakat wurde von der Polizei sichergestellt. Später stellte die Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen Strafantrag wegen Beleidigung. Das Bundeskanzleramt verzichtete auf einen Strafantrag für Olaf Scholz. Trotzdem leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein.

Das Amtsgericht (AG) Ingolstadt sprach den Angeklagten in erster Instanz frei. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Berufung beim Landgericht (LG) Ingolstadt ein, welches den Freispruch bestätigte. Auch die Revision der Staatsanwaltschaft vor dem BayObLG hatte nun keinen Erfolg.

BayObLG sieht keine Strafbarkeit

Das BayObLG bestätigte die Entscheidung der Vorinstanzen und wies die Revision der Staatsanwaltschaft zurück. Die Bezeichnung „Volksschädling“ falle in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG. Die Aussage sei nicht isoliert zu betrachten, sondern im Kontext des gesamten Plakats und der Demonstration zu würdigen. Ziel der Äußerung sei offenbar eine allgemeine Kritik an der Regierungspolitik gewesen, nicht eine persönliche Diffamierung des Kanzlers. Eine Formalbeleidigung nach § 185 StGB liege nicht vor, weil es eine alternative Deutung der Äußerung als politische Kritik gebe. Diese Auslegung beruhe auf der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach bei ehrverletzenden Äußerungen eine Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit erforderlich sei.

Weiterhin verneinte das Gericht eine Strafbarkeit nach § 188 Abs. 1 StGB. Diese Vorschrift verschärft die Strafe für Beleidigungen gegen Personen des politischen Lebens, wenn die Tat geeignet ist, deren öffentliches Wirken erheblich zu erschweren. Nach Auffassung des BayObLG müsse diese Eignung nicht nur anhand des Inhalts der Äußerung geprüft werden, sondern auch unter Berücksichtigung der Umstände der Verbreitung.

Das BayObLG stellte dabei insbesondere darauf ab, dass die Demonstration nur etwa 100 Teilnehmer gehabt habe, das Plakat eine begrenzte Reichweite hatte und die Bezeichnung „Volksschädling“ keine falsche Tatsachenbehauptung enthielt, sondern eine stark polemische Meinungsäußerung gewesen sei. Laut den Richtern sei die Äußerung daher nicht geeignet gewesen, das öffentliche Wirken des Bundeskanzlers erheblich zu erschweren. Anders als bei falschen Tatsachenbehauptungen, die sich verselbstständigen könnten, würde die Bezeichnung „Volksschädling“ voraussichtlich ohne größere Wirkung verpuffen.

Die Auffassung des OLG Zweibrücken, der Gesetzgeber habe beabsichtigt, ausschließlich die Äußerung selbst als Maßstab heranzuziehen, wurde vom BayObLG entschieden zurückgewiesen. Nach Ansicht der Münchener Richter war den Abgeordneten bei der Erweiterung des Straftatbestands im Jahr 2021 nicht bewusst, dass die Anforderungen an die Beleidigung gemäß § 185 StGB sich wesentlich von denen der üblen Nachrede und Verleumdung nach §§ 186, 187 StGB unterscheiden, die bereits zuvor in § 188 StGB aufgeführt wurden. Diese Schlussfolgerung zog das BayObLG aus der Gesetzesbegründung.

tsp