Die Sperrung von Social-Media-Accounts beschäftigt die deutschen Gerichte und nicht zuletzt den Bundesgerichtshof immer wieder. Jetzt wurden die daraus folgenden Vorgaben das erste Mal von einem Gericht angewendet und Konten-Sperrungen ohne vorherige Abmahnung größtenteils eine Absage erteilt.

Ein Facebook Nutzer hat vor dem Landgericht Mannheim gegen seine Konto-Sperrung geklagt und den Prozess verloren. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat in der Berufung für den Kläger entschieden und geurteilt, dass Facebook einen Nutzeraccount nur in Ausnahmefällen ohne vorherige Abmahnung kündigen darf (OLG Karlsruhe, Urteil vom 4.2.2022, Aktenzeichen: 10 U 17/20).

Mitglied der Identitären Bewegung klagt gegen Sperrungen

Facebook hatte im Sommer 2019 in zwei Fällen Beiträge des Klägers mit Bezug zur sogenannten „Identitären Bewegung“ gelöscht und das Nutzerkonto des Klägers jeweils vorübergehend gesperrt. Nach einem weiteren Posting des Klägers im Januar 2020 wurde sein Account dann dauerhaft deaktiviert. Dafür hatte Facebook sich auf Verstöße des Klägers gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) in Verbindung mit den „Gemeinschaftsstandards“ berufen, die unter anderem die Unterstützung von „Hassorganisationen“ verbieten.

Die Klage auf Unterlassung dieser Löschungen und vorübergehenden Kontensperrungen sowie auf eine Reaktivierung des Nutzerkontos hatte vor dem OLG Karlsruhe überwiegend Erfolg.


Muss Facebook eine Möglichkeit zur Stellungnahme bieten?

Hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und der vorübergehenden Sperrung des Accounts hat das OLG Karlsruhe festgestellt, dass diese Maßnahmen nach den AGB von Facebook in der maßgeblichen Fassung vom 19.4.2018 unzulässig waren. Zwar ist Facebook dazu berechtigt, seinen Nutzerinnen und Nutzern in AGB die Einhaltung von sachlich überprüfbaren Verhaltensstandards vorzugeben, auch wenn diese über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Er darf sich dabei auch das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen diese Regeln einzelne Beiträge zu entfernen oder den Account zu sperren. Facebook muss jedoch in seinen AGB sicherstellen, dass der Nutzer über die Entfernung eines Beitrags direkt danach und über eine beabsichtigte Accountsperrung vorher informiert und ihm der Grund dafür mitgeteilt wird.

Der Nutzer muss dann die Möglichkeit zur Stellungnahme haben, anhand derer Facebook entscheiden muss, ob der Beitrag wiederhergestellt wird. Diesen Anforderungen werden die maßgeblichen AGB von Facebook aber nicht gerecht, weil darin kein verbindliches Verfahren vorgesehen ist, innerhalb dessen betroffene Nutzer Stellung nehmen können. Einen grundsätzlichen Vorbehalt zur Sperrung von Accounts bzw. zur Entfernung von Beiträgen in den AGB hat das OLG Karlsruhe daher für unwirksam erachtet und sich mit dieser Einschätzung bereits ergangenen Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 29. Juli 2021 angeschlossen (Aktenzeichen: III ZR 179/20 und III ZR 192/20).

Nur wenn der Kläger strafbare Inhalte gepostet hätte, wäre eine Löschung dieser Beiträge und eine Sperrung des Nutzerkontos dennoch möglich gewesen. Bei strafbaren Inhalten ist Facebook bereits aufgrund der gesetzlichen Vorgaben im Telemediengesetz und im Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu entsprechenden Maßnahmen verpflichtet.

Kündigung des Nutzeraccounts ohne Abmahnung?

Auch die Kündigung des Nutzungsvertrags durch Facebook hielt der rechtlichen Überprüfung durch das OLG Karlsruhe nicht stand. Zwar darf ein Nutzungsvertrag bei Verstößen gegen die Verhaltensregeln beendet werden, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt. Auf eine vorherige Abmahnung kann allerdings nur in wenigen Ausnahmefällen verzichtet werden, etwa bei besonders schwerwiegenden Vertragsverletzungen oder wenn die Abmahnung offensichtlich nicht erfolgreich wäre. Für einen Ausgleich der Grundrechtspositionen von Facebook und den Nutzern ist es in der Regel erforderlich, dass der Nutzer vorab über die beabsichtigte Kündigung des Nutzervertrags informiert, ihm den Grund hierfür mitgeteilt und ihm eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird.

In dem vom OLG Karlsruhe zu entscheidenden Fall hatte Facebook vor der Kündigung des Nutzungsvertrags nicht wirksam abgemahnt. Die vorangegangenen Beitragslöschungen und Kontosperrungen waren wegen der festgestellten Unwirksamkeit des Entfernungs- und Sperrungsvorbehalts in den AGB von Facebook rechtswidrig gewesen. Sie können daher auch nicht als ordnungsgemäße Abmahnung gelten. Die Abmahnung war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Der Kläger hat sich nicht endgültig und ernsthaft geweigert, sich künftig an die vertraglichen Vereinbarungen zu halten. Auch andere besondere Umstände lagen nicht vor, die eine Abmahnung unzumutbar machen würden. Insbesondere waren die Beiträge des Klägers nicht strafbar, sodass keine besonders gravierende Vertragsverletzung gegeben war.

LG München I mit besonders hartem Fall

Erst von wenigen Tagen urteilte das Landgericht (LG) München I in einem vergleichbaren Fall und lieferte prompt ein Beispiel, in welchem eine Sperrung auch ohne vorherige Abmahnung möglich sein soll. Im Münchener Verfahren hatte ein Facebook-Nutzer auf Wiederherstellung seines Kontos und Schadenersatz geklagt, nachdem Facebook sein Konto gesperrt hatte, ohne ihn vorher anzuhören. Dem erteilte das LG München I eine Absage und entschied, dass die Vorgehensweise des Unternehmens zulässig war. Das Verschicken von Missbrauchsbildern sei ein wichtiger Grund, der Facebook zur außerordentlichen Kündigung des Nutzungsvertrages und damit zur sofortigen Kontosperrung berechtige (Urt. v. 31.01.2022, Az. 42 O 4307/19).

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Konsequente Anwendung der Richtlinien des BGH

Das OLG Karlsruhe hat mit seiner Entscheidung das erste Mal konkret die neuen Maßstäbe angesetzt, die der BGH festgelegt hat. Es zeigt sich, dass die Nutzer auch gegenüber großen sozialen Netzwerken wie Facebook nicht schutzlos sind und häufig gegen ungerechtfertigte Sperrungen gerichtlich vorgehen können.

Wie können sich Nutzer dagegen wehren?

Wer unberechtigt gekündigt wurde, kann feststellen lassen, dass der Nutzungsvertrag weiter besteht und die außerordentliche Kündigung nicht wirksam war. Dann muss der Betreiber den Nutzer wieder aufnehmen und freigeben. Hat der Betreiber aufgrund von AGB gehandelt, so kann man in diesem Rahmen auch prüfen lassen, dass die AGB unwirksam sind.  

Unrechtmäßige Sperrungen können auch zu Schadensersatzansprüchen führen, wenn der Account-Inhaber dadurch wirtschaftliche Einbußen hatte.  

Auch denkbar ist es, Unterlassungsansprüche gegen eine drohende Sperrung geltend zu machen.

Inwieweit sollten sie gerichtlich gegen eine Sperre vorgehen? Wie hoch ist das Kostenrisiko?

Gerade, wenn hinter dem Account ein hoher wirtschaftlicher Wert steckt – etwa weil es sich um einen Unternehmensaccount handelt, lohnt sich ein gerichtliches Vorgehen. Wie hoch das Kostenrisiko ist, kann nicht pauschal beantwortet werden, das hängt vom Einzelfall und dem Wert des Accounts ab. Zudem muss man beachten, dass man die Kosten nur trägt, wenn man den Fall verliert. Gewinnt man ihn, muss der Gegner zahlen.

Zur Höhe: Es gab schon einen Fall, in dem der Streitwert für einen gelöschten Account bei 22.000 Euro lag. Wer einen solchen Fall verliert, dem drohen insgesamt (außergerichtlich und gerichtlich in der 1. Instanz) 6.744,11 Euro an Kosten. Häufig wird der Streitwert aber darunter liegen. Bei einem Streitwert von 10.000 Euro liegen die Kosten bei knapp 5.000 Euro, bei einem Streitwert von 5.000 Euro bei 2.800 Euro.

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