Zum Thema Filesharing hat das Oberlandesgericht Köln am 03.11.2008 die unten veröffentlichte Entscheidung getroffen. Wenn Sie rechtliche Fragen zum Thema haben oder einen Rechtsanwalt benötigen, rufen Sie uns an 0221 / 951 563 0 (Beratung bundesweit).
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Konkret hat das Oberlandesgericht Köln folgendes entschieden:
1.) Der Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 16.09.2008 – 28 AR 9/08 – wird aufgehoben. Die Sache wird zur endgültigen Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin an das Landgericht zurückverwiesen.
2.) Der Beteiligten wird untersagt, bis zur Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin die Daten zu löschen, aus denen sich (mit Name und Anschrift) ergibt, wem die in Anlage ASt 1 genannten IP-Adressen zu den dort genannten Zeitpunkten zugeordnet waren.
3.) Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Parteien jeweils selbst. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
1. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache den aus der Beschlussformel ersichtlichen (Teil-) Erfolg. Wie den Parteien bekannt ist, hat der Senat in einer gleichgelagerten Verfahrenskonstellation bereits entschieden (Beschluss vom 21.10.2008 – 6 Wx 2/08), dass die ohne rechtliches Gehör der Beteiligten ergangene, nach Form und Begründung nur einstweilige, in der Sache aber die endgültige Entscheidung vorwegnehmende Anordnung des Landgerichts nicht aufrecht erhalten bleiben kann; in dieser Hinsicht tritt die Antragstellerin der Beschwerde auch nicht entgegen.
2. Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet. Die vollständige Zurückweisung des Antrags der Antragstellerin durch den Senat kommt nicht in Betracht; vielmehr ist die mit der Beschlussformel zu 2.) getroffene vorläufige Regelung sachlich geboten. Denn der Antrag hat aus derzeitiger Sicht Aussicht auf Erfolg. Bezugnehmend auf die im vorgenannten Senatsbeschluss dargestellten Grundsätze ist im Streitfall anzunehmen, dass die Antragstellerin – deren Aktivlegitimation als Inhaberin des ausschließlichen Nutzungsrechtes an der Software „Alchatech BPM Studio Pro“ sich aus dem vorgelegten Vertragszusatz vom 20.03.2008 ergibt – eine offensichtliche Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß geltend macht; datenschutzrechtliche Bestimmungen stehen der erstrebten Anordnung nicht entgegen.
a) Nach dem Vorbringen der Antragstellerin wurde das genannte Computerprogramm über die in der Anlage 1 zum Antrag genannten drei IP-Adressen im Rahmen einer Internet-Tauschbörse anderen Nutzern zum Erwerb durch Herunterladen angeboten. Die in diesem öffentlichen Zugänglichmachen gemäß § 19a UrhG liegenden urheberrechtswidrigen Verwertungshandlungen haben unabhängig von ihrer Anzahl (ob die Rechtsverletzungen einem Verletzer mit mehreren dynamischen IP-Adressen oder mehreren Verletzern zuzuordnen sind, wird vor erteilter Auskunft selten feststellbar sein) wegen der Schwere der jeweiligen Rechtsverletzung gewerbliches Ausmaß im Sinne von § 101 Abs. 1 UrhG, was Voraussetzung für den Drittauskunftsanspruch aus § 101 Abs. 2 UrhG und die Anordnung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG ist, aber weder mit dem strafrechtlichen Begriff des gewerbsmäßigen Handelns in § 108a UrhG noch mit den Schwellenwerten für die Annahme gewerblichen Ausmaßes nach den inzwischen zu § 153 StPO erlassenen staatsanwaltschaftlichen Richtlinien gleichzusetzen ist.
Das für professionelle DJs konzipierte Computerprogramm wird am Markt zum Preis von 499,00 EUR angeboten, wobei auch die streitbefangene – ältere – Version 4.9.1 die Möglichkeit zu kostenlosen Aktualisierungen durch von der Webseite der Herstellerin herunterzuladende Updates einschließt und deshalb nach wie vor einen bedeutenden kommerziellen Wert hat. Wer ein solches Computerprogramm im Rahmen einer Internet-Tauschbörse der Öffentlichkeit zum Erwerb anbietet, handelt – nicht anders als der Anbieter eines vollständigen Musikalbums in der relevanten Verkaufsphase (vgl. die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/8783, S. 50) – entsprechend einem gewerblicher Anbieter zur Erlangung eines qualitativ gewichtigen, wenigstens mittelbaren wirtschaftlichen Vorteils und nicht wie ein gutgläubiger Endverbraucher (vgl. Richtlinie 2004/48/EG, Erwägungsgrund 14; vgl. zur Übernahme des relativ weitgehenden Begriffs des gewerblichen Ausmaßes aus der Richtlinie im Hinblick auf Internet-Tauschbörsen auch die Rede des Abgeordneten Dr. L2, BT-Plenarprot. 16/155, S. 16321 B). Er kann und will um eigener Vorteile willen, die ihm die Tauschbörse – durch eine mit dem Angebot verbundene höhere eigene Downloadrate – bietet, nicht mehr kontrollieren, in welchem Umfang andere Teilnehmer der Tauschbörse von seinem kommerziell attraktiven Angebot Gebrauch machen. Damit greift er in fremde urheberrechtliche Befugnisse mit einer Intensität ein, die einer gewerblichen Nutzung entspricht.
Unerheblich ist, dass die Rechtsverletzung nur für einen bestimmten Zeitpunkt dargelegt ist und es nicht ausgeschlossen – wenn auch untypisch – erscheint, dass die Datei von dem betreffenden Verletzer nur für kurze Zeit an der Tauschbörse zum Download angeboten wurde. Soweit der Referentenentwurf vom 03.01.2006 (zitiert nach http://rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?docid=212033) zu § 140b Abs. 2 PatG, also (nur) in Bezug auf das Handeln des auskunftspflichtigen Dritten, die im Gesetzgebungsverfahren später nicht mehr aufgegriffene Ansicht vertreten hatte, dass dem Begriff „gewerblich“ eine gewisse Nachhaltigkeit immanent sei (S. 78), folgt daraus nicht, dass die dargelegte Rechtsverletzung unabhängig von ihrer Schwere bereits für sich allein erkennbar planmäßig und auf Dauer angelegt sein muss, wie die Beteiligte unter Hinweis auf den Begriff des Handelsgewerbes in § 1 Abs. 2 HGB meint. Schon der Referentenentwurf hatte betont, dass es von den Umständen des Einzelfalles abhänge, ob der Umfang üblichen Konsums überschritten sei (S. 78 f.), und dass in Bezug auf Tauschbörsen, bei denen in großem Umfang Urheberrechtsverletzungen stattfänden, ein besonderes Interesse an einer Auskunft bestehe, ohne die der Verletzer nicht ermittelt werden könne (S. 82). In Fällen der vorliegenden Art hat es der namentlich bisher unbekannte Verletzter ab dem Zeitpunkt seines Download-Angebots nicht mehr in der Hand, ob und wie oft die heruntergeladene Datei wiederum vervielfältigt und verbreitet wird, auch wenn er sie selbst nur für kurze Zeit anderen Tauschbörsen-Teilnehmern zur Verfügung stellt. Sein Verhalten ist insoweit mit der Übergabe des Datenträgers an einen gewerblichen Zwischenhändler vergleichbar, der bestimmungsgemäß die Herstellung und Distribution der Kopien übernimmt, und erreicht damit auch selbst gewerbliches Ausmaß.
b) Die geltend gemachten Rechtsverletzungen sind offensichtlich.
aa) Dem steht nicht entgegen, dass die in Rede stehenden IP-Adressen unter Umständen auch unbefugt genutzten Internet-Anschlüssen (Hot Spots, Internet-Cafés, private WLAN-Anschlüsse) zugeordnet sein könnten, deren Inhaber selbst nicht Störer im Sinne des Urheberrechts sind. Das Gesetz setzt eine offensichtliche Rechtsverletzung voraus und nicht, dass die Rechtsverletzung offensichtlich gerade der Person zur Last zu legen ist, deren Anschluss die fraglichen Verkehrsdaten zugeordnet sind. Das Anliegen des Gesetzgebers würde leerlaufen, wenn die erstrebte Auskunft über die Person des Anschlussinhabers davon abhinge, dass die in vor erteilter Auskunft niemals ganz auszuschließende Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Nicht-Störers sicher verneint werden kann. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Anschlussinhaber ergeben sich daraus nicht, zumal von einzelnen Auskunftsbegehren auf der Basis dynamischer, nach kurzer Zeit einem anderen Anschlussinhaber zugewiesener IP-Adressen – anders als bei der drohenden längerfristigen Nutzung eines umfassenden, durch Vorratsdatenspeicherung gewonnenen Datenbestandes zu Strafverfolgungszwecken (BVerfG, Beschluss vom 11.03.2008 – 1 BvR 256/08, MMR 2008, 303 [305] = NVwZ 2008, 543; vgl. dazu Czychowski / Nordemann, NJW 2008, 3095 [3097 f.] und Hoeren, NJW 2008, 3099 [3101]) – noch keine weitreichenden Erkenntnisse über das Kommunikationsverhalten und die sozialen Kontakte des Betroffenen zu erwarten und missbräuchliche Verwendungsmöglichkeiten gering sind. Weil die Nutzung der Anschlüsse, dem die fraglichen IP-Adresse zugeordnet sind, eher dem Risikobereich der Anschlussinhaber als dem der Auskunft begehrenden Rechteinhaber zuzurechnen ist, erscheint es gerechtfertigt, ihr Interesse, nicht nur auf nachträgliche Verteidigungsmöglichkeiten gegen eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme verwiesen zu werden, hinter dem Interesse der Rechteinhaber an effektivem Rechtsschutz zurücktreten zu lassen.
bb) Das Erfordernis der Offensichtlichkeit in § 101 Abs. 2 UrhG bezieht sich allerdings auch darauf, dass die Rechtsverletzung tatsächlich den Verkehrsdaten zuzuordnen ist, hinsichtlich derer Auskunft begehrt wird. Nach der Gesetzesbegründung soll das – bei Zweifeln in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu verneinende – Tatbestandsmerkmal der „offensichtlichen“ Rechtsverletzung den Auskunftsanspruch auf die eindeutigen Fälle beschränken, in denen eine ungerechtfertigte Belastung des um Auskunft ersuchten Dritten ausgeschlossen und der von der Auskunft betroffene (vermutliche) Verletzer nicht mehr schutzwürdig erscheint (BT-Drucks. 16/5048, S. 39). Dessen Schutz vor der Preisgabe sensibler Daten, dem das gesamte Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG dient, wäre nicht mehr gewährleistet, wenn tatsächlich zweifelhaft wäre, dass die geltend gemachte Rechtsverletzung gerade über den Internet-Anschluss begangen wurde, dem die fragliche IP-Adressen zugeordnet ist.
Im Streitfall bestehen nach dem Akteninhalt – insbesondere den Prüfberichten der von der Antragstellerin beauftragten Evidenzia G und L3 GbR und der eidesstattlichen Versicherung des Zeugen G – indessen keine Anhaltspunkte dafür, dass das tatsächliche Vorbringen der Antragstellerin unrichtig sein könnte, zumal die sachkundige Beschwerdeführerin diesem Vorbringen nicht entgegengetreten ist.
c) Die erstrebte Anordnung scheitert nicht an zwingenden Vorschriften des Datenschutzrechtes.
aa) Soweit die Beschwerdebegründung unter Hinweis auf § 101 Abs. 9 S. 9 UrhG und einzelne Stimmen im Schrifttum (Spindler, ZUM 2008, 640 [645 ff.]) bezweifelt, dass § 101 UrhG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Verwendung von Verkehrsdaten zu Auskunftszwecken darstellt, teilt der Senat diese Bedenken nicht. § 96 Abs. 2 S. 1 TKG sieht ausdrücklich eine Verwendung von Verkehrsdaten (die sonst gemäß § 96 Abs. 2 S. 2 TKG vom Provider unverzüglich zu löschen sind) über das Ende der Verbindung hinaus vor, soweit dies für die durch andere gesetzliche Vorschriften begründeten Zwecke erforderlich ist. § 101 Abs. 9 UrhG (mit seinen Parallelvorschriften) ist eine solche gesetzliche Vorschrift. Das damit eingeführte Verfahren mit Richtervorbehalt wäre sinnlos, wenn die anschließende Verwendung der Verkehrsdaten zu Auskunftszwecken am Fehlen einer datenschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlage scheitern würde (vgl. Czychowski / Nordemann, NJW 2008, 3095 [3097]). § 101 Abs. 9 S. 9 UrhG stellt demgegenüber lediglich klar, dass außerhalb des Anwendungsbereichs von § 101 Abs. 9 S. 1 bis 8 UrhG Auskunft über personenbezogene Daten nur unter Beachtung der jeweils einschlägigen Datenschutzvorschriften erteilt werden darf (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/5048, S. 40 [zu § 140b Abs. 9 S. 9 PatG]).
bb) Entgegen dem Beschwerdevorbringen verstößt das Auskunftsbegehren nicht wegen der Art der Ermittlung der streitgegenständlichen IP-Adressen durch die Evidenzia G und L3 GbR gegen § 4 BDSG, der grundsätzlich die Erhebung personenbezogener Daten ohne Einwilligung und Mitwirkung des Betroffenen verbietet. Falls es sich bei den fraglichen Daten außer um Verkehrsdaten im Sinne des TKG um personenbezogene Daten im Sinne der Definition des § 3 Abs. 1 BDSG, nämlich um Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person handelt, so wurden sie doch nicht ohne Mitwirkung und Einwilligung der namentlich bisher unbekannten Betroffenen erhoben, die – um überhaupt an der Tauschbörse teilnehmen zu können – freiwillig ihre IP-Adressen offenbart und anderen Nutzern eine entsprechende Anfrage über die Tauschbörsen-Software ermöglicht haben müssen. Aus denselben Erwägungen stellt die das Auskunftsbegehren nach § 101 Abs. 9 UrhG lediglich vorbereitende Ermittlung der IP-Adressen für sich genommen auch keinen – zur Unverwertbarkeit der ermittelten Angaben führenden – Eingriff in das durch Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis dar. Ob das Interesse der unbekannten Anschlussinhaber auf unverzügliche Löschung der IP-Adressen und sonstigen Daten, die ihre Identifizierung ermöglichen, gegenüber dem Auskunftsinteresse der Antragstellerin den Vorrang verdient, ist im Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG zu prüfen.
d) Da das Auskunftsbegehren der Antragstellerin nach derzeitiger Lage der Akten Aussicht auf Erfolg hat, war im Hinblick auf den gerichtsbekannten Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin aus datenschutzrechtlichen Gründen für verpflichtet hält, Verkehrsdaten nicht länger als sieben Tage zu speichern und nach Ablauf dieser Frist zu löschen, wenn ihr nicht durch hoheitliche Entscheidung das Gegenteil gestattet worden ist, der Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten, mit der ihr die Löschung der in Rede stehenden Verkehrsdaten vorläufig untersagt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 21.10.2008 – 6 Wx 2/02, sub II 2 b).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, § 13a Abs. 1 S. 1 FGG. Für eine Belastung der Staatskasse mit den außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren – wie von ihr beantragt – fehlt es jedenfalls an einer gesetzlichen Grundlage.
Beschwerdewert: 1.500,00 EUR
(1/2 von 3.000,00 EUR, vgl. Senatsbeschluss vom 09.10.2008 – 6 W 123/08)