Wegen Filesharing abgemahnte Anschlussinhaber müssen den wahren Täter im vorgerichtlichen Verfahren nicht benennen, sofern er ihnen denn überhaupt bekannt ist. Verfahrenskosten müssen sie ebenfalls nicht tragen, wenn sie sodann im Klageverfahren den Täter benennen. Dies hat der BGH einem von unserer Kanzlei geführten Verfahren beschlossen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem von unserer Kanzlei geführten Verfahren beschlossen, dass wegen Filesharings abgemahnte Anschlussinhaber, die den wahren Täter im Klageverfahren benennen, nicht die Verfahrenskosten tragen müssen. Schließlich hatte die Abmahnkanzlei den falschen abgemahnt. Anschlussinhaber müssen zudem den wahren Täter, sofern er ihnen bekannt ist, auch nicht vorgerichtlich benennen (BGH, Beschluss vom 17.02.2021, Az. I ZB 38/20).
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Worum es im Verfahren ging – Anschlussinhaberin war nicht die Täterin
In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 2015 wurden zwei Folgen der Fernsehserie „The Flash“ über den Internetanschluss unserer Mandantin in einer Tauschbörse öffentlich zum Herunterladen angeboten. Die Münchener Abmahnkanzlei Waldorf Frommer mahnte unsere Mandantin daraufhin im Auftrag von Warner Bros. Entertainment GmbH unter Berufung auf die ausschließlichen Nutzungsrechte an der Comicserie „The Flash“ am 11. Dezember 2015 vorgerichtlich im Wege einer Abmahnung ab. In Absprache mit unserer Mandantin gaben wir in ihrem Namen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Angaben zur Nutzung ihres Internetanschlusses im relevanten Zeitraum eine sogenannte modifizierte Unterlassungserklärung ab.
Waldorf Frommer nahm daraufhin unsere Mandantin u.a. auf Schadensersatz in Anspruch. Nun gibt es jedoch Fälle, in denen die Anschlussinhaberin nicht persönlich für die ihr vorgeworfene Rechtsverletzung verantwortlich ist. So lag es auch in diesem Fall. Gemeinsam mit unserer Mandantin hatten wir daher in der Klageerwiderung mitgeteilt, dass sie die Serie nicht heruntergeladen und Dritten zugänglich gemacht hatte. Sie hatte nämlich ihre Wohnung, in der sich der Internetanschluss befand, in der Zeit des vermeintlichen Filesharings- über das Portal Airbnb vermietet und sich in dieser Zeit bei ihrer Mutter aufgehalten. Sie habe nur über die Chatfunktion des Portals Airbnb Kontakt zur Mieterin gehabt und verfüge über keine weiteren Kontaktdaten von ihr.
Waldorf Frommer hatte daraufhin die Klage zurückgenommen und beantragt, unserer Mandantin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Muss Anschlussinhaberin dennoch die Verfahrenskosten tragen?
Möchten Kläger wie Warner Bros. Entertainment GmbH nicht mehr an ihrer Klage festhalten und eine Erledigung des Prozesses ohne Urteil erreichen, können sie die Klage unter den Voraussetzungen des § 269 Zivilprozessordnung (ZPO) selbstverständlich zurücknehmen. Eine Klagerücknahme streben Kläger regelmäßig dann an, wenn sie ihren Prozess für wenig aussichtsreich halten, z.B. wenn, wie im aktuellen Fall, die beklagte Anschlussinhaberin schlicht nicht die Täterin der Urheberrechtsverletzung ist.
Die Folge: Als Veranlasser der Klage (und der Klagerücknahme) müsste Warner Bros. Entertainment GmbH grundsätzlich die bereits angefallenen Kosten tragen (§ 269 Abs. 3 S. 2 ZPO). Eine Situation, die der Abmahnindustrie verständlicherweise nicht gefällt. Schließlich gibt es durchaus zahlreiche Fälle, in denen der Anschlussinhaber nicht persönlich für die ihm vorgeworfene Rechtsverletzung verantwortlich ist, sondern entweder schon im Zeitpunkt des Erhalts der Abmahnung oder aufgrund anschließend getätigter Nachforschungen weiß, wer der Täter ist. Alleine wir von WBS vertreten Tausende zu Unrecht Abgemahnte.
Daher beruft sich die Abmahnindustrie auf eine Ausnahmeregelung, denn in einem besonderen Fall ist diese Kostenregel gemildert. Nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO kann das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen entscheiden, wenn der Anlass zur Klage vor Rechtshängigkeit entfallen ist. Dies, so die Argumentation der Abmahnindustrie, sei hier der Fall, denn unsere Mandantin sei zwar nicht die Täterin der Urheberrechtsverletzung, doch genau das sei aber bereits vor Klageerhebung bekannt gewesen, weshalb der Klageanlass schon vor Rechtshängigkeit vorgelegen habe.
Sowohl das Amtsgericht (AG) Köln (AG Köln, Entscheidung vom 01.07.2019, Az. 125 C 151/19) als auch das Landgericht (LG) Köln als Beschwerdegericht (LG Köln, Entscheidung vom 31.03.2020, Az. 14 T 11/19) hatten daraufhin unserer Mandantin tatsächlich Kosten auferlegt. In Absprache mit unserer Mandantin legten wir daraufhin Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) ein, da diese Frage bislang höchstrichterlich nicht geklärt war und wir in der Sache eine völlig andere Rechtsauffassung vertreten.
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Beschluss des BGH – Anschlussinhaberin muss Verfahrenskosten nicht tragen und wahren Täter vorgerichtlich nicht benennen
Der BGH hat nun zu Gunsten unserer Mandantin entschieden und unsere Auffassung damit bestätigt. Ein „Anlass zur Einreichung der Klage“ könne nur angenommen werden, wenn die Klage bei ihrer Einreichung zulässig und begründet war oder jedenfalls zu irgendeinem Zeitpunkt vor ihrer Einreichung zulässig und begründet gewesen wäre. Auf den Fall einer aus objektiver Sicht zu keinem Zeitpunkt aussichtsreichen Klage sei die Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nicht anwendbar. Deshalb sei der Anwendungsbereich des § 269 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 ZPO hier auch nicht eröffnet. Gemäß den zutreffenden Ausführungen des LG Köln sei unsere Mandantin für die über ihren Internetanschluss begangene Urheberrechtsverletzung nicht verantwortlich, so dass die gegen sie gerichtete Klage zu keinem Zeitpunkt begründet war. Der BGH hob den Beschluss des LG Köln daher auf. Die Kosten muss nun Warner Bros. Entertainment GmbH tragen.
Dieses Ergebnis ist folgerichtig, schließlich hat Warner Bros. Entertainment GmbH hier von Anfang an die falsche Person zunächst abmahnen und dann verklagen lassen. Unsere Mandantin war nun einmal nicht die Täterin. Es ist zwar durchaus verständlich, dass dieser Umstand für die Warner Bros. Entertainment GmbH und die Kanzlei Waldorf Frommer unbefriedigend ist, doch kann es im Ergebnis nicht sein, dass unsere Mandantin für eine falsche Täterermittlung der Gegenseite schlussendlich auch noch die Kosten tragen soll.
Zudem stellte der BGH erneut klar und verwies auf sein Urteil vom 17.12.2020 (BGH, Az. I ZR 228/19), dass derjenige Anschlussinhaber, der den wahren Täter einer ihm vorgeworfenen Rechtsverletzung kennt, diesen nicht vorgerichtlich benennen muss. Mit anderen Worten: Abgemahnte müssen den wahren Täter nicht verpetzen.