Wer illegal Kopien von Filmen verbreitet, riskiert Schadensersatzforderungen. Doch inwieweit kann YouTube dazu gezwungen werden, die Daten seiner Nutzer preiszugeben, wenn diese urheberrechtswidrig Inhalte hochgeladen haben? Können Name, Postanschrift oder sogar auch E-Mail-Adresse, Telefonnummer und IP-Adresse herausverlangt werden? Der BGH lehnte heute ab, dass eine Auskunft über E-Mail-Adresse, Telefonnummer und IP-Adresse verpflichtend sei. Ein Urteil mit weitreichenden Folgen.

Ursprünglich hatte Constantin Film YouTube verklagt. Das Filmunternehmen verlangte Auskunft von YouTube über die Daten von drei Usern, die ganze Filme über die Plattform hochgeladen hatten. Konkret ging es um einen Auskunftsanspruch aus dem Urheberrechtsgesetz und die Auslegung des Begriffs „Anschrift“. Unklar war schnell, wie weit dieser Auskunftsanspruch gehe.

Das Verfahren ging durch alle Instanzen und landete auf Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH) letztendlich sogar beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser klärte mit Urteil vom 09. Juli 2020, mit welchen Auskünften über die Nutzer Videoplattformen wie YouTube beim Aufspüren von Raubkopierern den Rechteinhabern helfen müssen (Az. C-264/19). Zwar gilt grundsätzlich, dass derjenige, der urheberrechtlich geschützte Inhalte widerrechtlich auf der Internetvideoplattform YouTube hochlädt, Schadensersatzforderungen riskiert, wenn er denn ausfindig gemacht werden kann. Trotzdem können laut EuGH-Urteil nur eingeschränkt Daten von ihm herausverlangt werden. Demnach ergebe die Auslegung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Richtlinie 2004/48/EG), dass von YouTube nur Name und Postanschrift des betreffenden Nutzers herausverlangt werden können – nicht aber dessen E-Mail-Adresse, IP-Adresse oder Telefonnummer.

Der BGH musste diese Auslegung bei seiner erneuten Verhandlung zur Sache am 15. 10. 2020 berücksichtigen (BGH I ZR 153/17). Was das angeht hatte der EuGH mit seiner strikten Auslegung bereits eine klare Richtung vorgegeben. Und der BGH ist dieser mit seinem heutigen Urteil vom 10. 12. 2020 nun gefolgt.

Praktisch relevant ist die Entscheidung vor allem deshalb, weil es bei einer YouTube-Anmeldung gar nicht erforderlich ist, die Postanschrift anzugeben. Viele Nutzer geben auf YouTube außerdem nur einen Decknamen an. Nun wird die Rechtsverfolgung von Urheberrechtsverstößen auf YouTube also erheblich erschwert.

Aber alles der Reihe nach…

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Worum ging es im Verfahren?

Drei Nutzer hatten die Kinofilme „Parkers“ und „Scary Movie 5“ in voller Länge bei YouTube hochgeladen – für jedermann zum kostenlosen Anschauen. Das geschah 2013 und 2014, also zu einer Zeit, als diese Filme noch im Kino liefen. Constantin Film sah sich in seinen Rechten verletzt und wollte gegen die drei Nutzer vorgehen. Das Problem dabei: Das Unternehmen wusste nicht, wer die Nutzer waren, die die Inhalte auf YouTube hochgeladen hatten. Constantin Film kennt lediglich die  Nutzernamen. Anders als in Internet-Tauschbörsen hinterlassen Nutzer auf Plattformen wie YouTube nicht sichtbar ihre IP-Adresse. Mehr weiß nur der Betreiber selbst. Aus diesem Grund verlangte der Constantin Film von YouTube Auskunft über die E-Mail- und IP-Adresse der Nutzer sowie deren Telefonnummern.  

Ein Upload von Videos bei YouTube ist nur dann möglich, wenn der Nutzer zuvor seinen Namen, sein Geburtsdatum, seine E‑Mail-Adresse und – eine gewisse Videolänge vorausgesetzt – auch seine Telefonnummer preisgibt.

Betroffene einer Urheberrechtsverletzung haben gemäß § 101 UrhG einen Auskunftsanspruch gegen Youtube. Diesem ist zu entnehmen, dass Youtube „Name und Anschrift“ eines illegalen Uploaders herausgeben muss. In § 101 UrhG wird die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums umgesetzt.

Grundsätzlich sind Plattformbetreiber gem. Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der EU – Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Richtlinie 2004/48/EG) dazu verpflichtet „Namen und Adressen“ der Verantwortlichen herauszugeben. YouTube vertritt den Standpunkt, dass diese Vorschrift wörtlich auszulegen sei. Es gehe also nur um den (Klar-) Namen und die postalische Anschrift. Und weil man die nicht habe, könne man eben keine Auskunft erteilen. Der Gesetzgeber hätte ja auch explizit die E-Mail-Adresse oder die Handynummer ins Gesetz schreiben können, habe das aber bewusst nicht getan. Constantin Film hingegen ist der Auffassung, dass der Auskunftsanspruch auch Mail- und IP-Adressen umfasse. 

Bisheriger Verfahrensverlauf

Das in erster Instanz zuständige Landgericht (LG) Frankfurt am Main wies die auf Erteilung dieser Auskünfte gerichtete Klage von Constantin Film Verleih ab.

Im Berufungsverfahren verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main YouTube und Google zur Übermittlung der jeweiligen E-Mail-Adresse der betreffenden Nutzer und wies die weiter gehende Berufung von Constantin Film Verleih zurück.

Constantin Film Verleih beantragte mit seiner beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegten Revision, YouTube und Google zur Erteilung sämtlicher Auskünfte einschließlich der Telefonnummern und der IP-Adressen der Nutzer zu verurteilen.

YouTube und Google beantragten hingegen mit ihrer Revision die vollständige Abweisung der Klage von Constantin Film Verleih, auch soweit diese die E-Mail-Adressen der Nutzer betreffe.

Da nach Auffassung des BGH die Entscheidung über diese beiden Revisionen von der Auslegung des in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/48 aufgenommenen Begriffs „Adressen“ abhänge, beschloss er, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Umfassen die in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/48 genannten Adressen der Hersteller, Erzeuger, Vertreiber, Lieferer und anderer Vorbesitzer der Waren oder Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, auf die sich die Auskünfte nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 soweit angebracht erstrecken, auch

a) die E-Mail-Adressen der Nutzer der Dienstleistungen und/oder

b) die Telefonnummern der Nutzer der Dienstleistungen und/oder

c) die von den Nutzern der Dienstleistungen für das Hochladen der rechtsverletzenden Dateien genutzten IP-Adressen nebst genauem Zeitpunkt des Hochladens?

2. Falls die Frage 1c bejaht wird: Erstreckt sich die nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/48 zu erteilende Auskunft auch auf die IP-Adresse, die von dem Nutzer, der zuvor rechtsverletzend Dateien hochgeladen hat, zuletzt für einen Zugriff auf sein Google-/YouTube-Benutzerkonto verwendet wurde, nebst genauem Zeitpunkt des Zugriffs, unabhängig davon, ob bei diesem letzten Zugriff Rechtsverletzungen in Bezug auf das geistige Eigentum begangen wurden?

Nach EuGH-Urteil Spielball wieder bei BGH

In Übereinstimmung mit der von YouTube und Google vertretenen Auffassung vertrat der Generalanwalt bereits die Auffassung, dass die in Rede stehende Bestimmung keine der in den Vorlagefragen genannten Auskünfte (E-Mail-Adresse, die Telefonnummer, IP-Adresse) erfasse.

Der EuGH kam zu dem Schluss, dass der Begriff „Adresse“ in der Richtlinie 2004/48 sich, was einen Nutzer anbelangt, der ein Recht des geistigen Eigentums verletzende Dateien hochgeladen habe, nicht auf die E-Mail-Adresse und Telefonnummer dieses Nutzers sowie die für das Hochladen dieser Dateien genutzte IP-Adresse oder die bei seinem letzten Zugriff auf das Benutzerkonto verwendete IP-Adresse beziehe. Der Begriff „Adresse“ beziehe sich ausschließlich auf die Postanschrift.

Allerdings stellte der EuGH jedoch klar, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit hätten, den Rechteinhabern einen weiter gehenden Auskunftsanspruch einzuräumen, allerdings unter dem Vorbehalt, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen betroffenen Grundrechten gewährleistet werde, sowie der Beachtung der anderen allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie etwa des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Der BGH sah heute keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der deutsche Gesetzgeber über die Regelungen in der Richtlinie hinausgehen wollte. Der Begriff „Anschrift“ im Sinne von § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG decke sich mit dem Begriff „Adresse“ in der EU-Richtlinie.

Dass der BGH damit also für einen eingeschränkten Auskunftsanspruch plädiert, ist ein herber Schlag für die Filmbranche. Diese kann nun nur noch unter erschwerten Bedingungen gegen Urheberrechtsverletzungen auf YouTube vorgehen. YouTube allerdings geht als strahlender Sieger aus dem Verfahren.

tsp/mle