Der BGH hat in einem Grundsatzurteil entschieden, dass der Betreiber eines Tor-Exit-Nodes und offenen WLAN-Zugangs für Rechtsverletzungen wie z.B illegalem Filesharing, die darüber begangen werden, nach neuer Rechtslage nicht mehr haftet. Jedoch komme ein Sperranspruch des Rechteinhabers in Betracht. Zahlen muss dieser Betreiber des Tor-Exit-Nodes und offenen WLAN dennoch – weil der Fall zum Teil nach alter Rechtslage entschieden werden musste. RA Christian Solmecke zu den Konsequenzen dieses wichtigen Urteils: 

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass der Betreiber eines Internetzugangs über WLAN und eines Tor-Exit-Nodes nach der seit dem 13. Oktober 2017 geltenden Neufassung des § 8 Abs. 1 Satz 2 des Telemediengesetzes (TMG) zwar nicht als Störer für von Dritten über seinen Internetanschluss im Wege des Filesharings begangene Urheberrechtsverletzungen auf Unterlassung haftet (Urt. v. 26. Juli 2018, Az. I ZR 64/17 – Dead Island).

Jedoch komme ein Sperranspruch des Rechtsinhabers gemäß § 7 Abs. 4 Telemediengesetz (TMG) neuer Fassung in Betracht. Die Sache wurde hierzu zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf zurückverwiesen, um zu prüfen, ob dieser Anspruch auf Sperrung besteht.

Allerdings haftet der Tor-Exit-Node-Betreiber und Anbieter offenen WLANs nach der alten Rechtslage als Störer auf Aufwendungsersatz für die Abmahnkosten.

Der Unterschied zwischen den beiden Ansprüchen (Unterlassung und Zahlung) besteht darin, dass die Unterlassung auch für die Zukunft wirkt und daher stets nach der aktuellen Rechtslage zu beurteilen ist. Der Zahlungsanspruch hingegen richtet sich nach der Gesetzeslage im Zeitpunkt der Rechtsverletzung.

RA Christian Solmecke zu den Konsequenzen des Urteils und offenen Fragen

„Diese erste Entscheidung des BGH nach der gesetzlichen Abschaffung der Störerhaftung für Zugangsvermittler ist grundsätzlich zu begrüßen. Der BGH hat die Gelegenheit genutzt, die gesetzgeberische Entscheidung zu bestätigen und keine „Hintertür“ für die Rechteinhaber zu schaffen, die doch zu einer Haftung für Tor-Exit-Node- und WLAN-Betreiber geführt hätte. Gesetzgeber und BGH ziehen nun also an einem Strang, wenn es darum geht, die rechtlichen Regeln der Realität anzupassen.

Die Entscheidung ist auch als positiv anzusehen im Hinblick auf das Tor-Netzwerk. Denn auch, wenn dies in Deutschland nicht notwendig ist, so gibt dieses Netzwerk mit seiner Anonymisierungsfunktion Privatpersonen und insbesondere Kritikern totalitärer Regime die Möglichkeit, ihre Meinungsfreiheit auszuüben sowie ihre personenbezogenen Daten zu schützen, ohne Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden. Zwar hätte eine Entscheidung in Deutschland keine direkten rechtlichen Auswirkungen auf das Betreiben eines Tor-Exit-Nodes in anderen Ländern gehabt. Aber da das Urheberrecht in der EU weitgehend harmonisiert ist und noch wird, wäre bei einer anderen Entscheidung zu erwarten gewesen, dass auch andere EU Staaten eine Haftung des Tor-Exit-Node-Betreibers verschärfen. So hätte das gesamte Tor-Netzwerk (zumindest innerhalb der EU) erheblich schrumpfen können. Dies hätte in letzter Konsequenz bis zum vollständigen Ende von Tor führen können. Nun aber geht Deutschland mit gutem Beispiel voran.

Da das Berufungsgericht (OLG Düsseldorf) jedoch keine konkreten Feststellungen getroffen hat, wie vorliegend eine Sicherung des Anschlusses oder eine Sperrung ausgestaltet werden müsste, ist der Rechtsstreit im Übrigen nochmals an das OLG Düsseldorf zurückverwiesen worden. Dieses muss nun klären, welche konkreten Maßnahmen dem Tor-Exit-Node-Betreiber auferlegt werden können. Dies könnten beispielsweise Maßnahmen von der Sicherung mittels Kennwort über die Nutzeridentifizierung bis hin zur Sperrung des gesamten Anschlusses oder des Zugangs zum Tor-Netzwerk sein. Eine so weitreichende Sperrung halte ich aber für unwahrscheinlich, da dies nach dem Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 4 TMG nicht „zumutbar und verhältnismäßig“ wäre. Denn so eine Anordnung darauf hinaus, dass eine gesamte Technologie wie die P2P Technologie oder eben die Tor-Technologie einzelnen Betreibern verboten werden kann. Spannend ist auch, wie Sperranordnungen nach einer einmalig festgestellten Urheberrechtsverletzung rein praktisch ausgestaltet werden. Zum einen wird hier entschieden werden müssen, welche konkreten Maßnahmen „zumutbar und verhältnismäßig“ sind. Zum anderen geht es darum, wie die konkrete Maßnahme auch umgesetzt werden kann und muss. Gerade Privatperson könnten Schwierigkeiten haben, den Tausch eines bestimmten Musikstücks zu verhindern.“

Worum ging es in dem Fall?

Vordergründig geht es im konkreten Fall „lediglich“ um einen weiteren Filsharing-Fall. Am 6. Januar 2013 wurde das Videospiel „Dead Island“ über den Internetanschluss des Beklagten in einer Internet-Tauschbörse zum Herunterladen angeboten. Die Koch Media GmbH mahnte den Beklagten über die Rechtsanwaltskanzlei RKA wegen illegalem Filesharing ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Zudem wurde ein Schadensersatz in Höhe von rund 1000 Euro gefordert. Zuvor hatte Koch Media ihn zweimal wegen im Jahr 2011 über seinen Internetanschluss begangener, auf andere Werke bezogener Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing anwaltlich abgemahnt.

Der BGH hatte aber die spannende Frage zu klären, ob Betreiber eines Tor-Exit-Nodes (hierzu unsere Grafik), welche regelmäßig nicht Täter der Verletzungshandlung sein werden, für alle Rechtsverletzungen als sog. Störer in Haftung genommen werden können, da lediglich sie über ihre IP-Adresse ermittelbar sind. In der Sache stand also auch die Zukunft des Tor-Netzwerkes auf dem Spiel.

So funktioniert das Tor-Netzwerk

Tor ist ein Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten und im weitesten Sinne vergleichbar mit einem VPN-Netzwerk. Tor schützt seine Nutzer vor der Analyse des Datenverkehrs.

Haften Tor-Betreiber für das Tor-Netzwerk?

Der Beklagte hat geltend gemacht, selbst keine Rechtsverletzung begangen zu haben. Er betreibe unter seiner IP-Adresse fünf öffentlich zugängliche WLAN-Hotspots und zwei eingehende Kanäle aus dem TOR-Netzwerk („Tor-Exit-Node“). Und nun wird es spannend, denn im konkreten Fall schützte das Tor-Netzwerk den eigentlichen Täter, da dessen IP-Adresse durch die Tor-Nutzung verschleiert wurde. Über die Tauschbörse konnte lediglich der nun Beklagte ausfindig gemacht werden, weil die Daten über seinen Internetanschluss geleitet wurden, da er als Betreiber des Tor-Exit-Nodes ermittelbar war. Die Frage die sich nun vor dem BGH stellte, war, ob jeder Betreiber eines Tor-Exit-Nodes für sämtliche Rechtsverletzungen aller Nutzer des Tor-Netzwerkes, die über seinen Internetanschluss begangen werden, haftet. Die Koch Media GmbH jedenfalls nahm den Beklagten auf Unterlassung, Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.

BGH zum Unterlassungsanspruch nach neuer Rechtslage

Die Verurteilung zur Unterlassung hat der Bundesgerichtshof aufgehoben, weil nach der seit dem 13. Oktober 2017 geltenden Neufassung des § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG der Vermittler eines Internetzugangs nicht wegen einer rechtswidrigen Handlung eines Nutzers auf Schadensersatz, Beseitigung oder Unterlassung einer Rechtsverletzung in Anspruch genommen werden kann (Abschaffung der Störerhaftung für Zugangsvermittler).

Auch nach europäischem Recht, welches der BGH geprüft hat, ist diese Entscheidung nicht zu beanstanden. Zwar sind die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet, zugunsten der Rechtsinhaber die Möglichkeit gerichtlicher Anordnungen gegen Vermittler vorzusehen, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden. Der deutsche Gesetzgeber hat die Unterlassungshaftung des Zugangsvermittlers in § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG nF zwar ausgeschlossen, jedoch zugleich in § 7 Abs. 4 TMG nF einen auf Sperrung des Zugangs zu Informationen gerichteten Anspruch gegen den Betreiber eines Internetzugangs über WLAN vorgesehen. Diese Vorschrift müsse so verstanden werden, dass der Sperranspruch auch gegenüber den Anbietern kabelgebundener Internetzugänge geltend gemacht werden kann. Der Anspruch auf Sperrmaßnahmen sei nicht auf bestimmte Sperrmaßnahmen beschränkt und könne auch die Pflicht zur Registrierung von Nutzern, zur Verschlüsselung des Zugangs mit einem Passwort oder – im äußersten Fall – zur vollständigen Sperrung des Zugangs umfassen.

Zur Prüfung der Frage, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sperrung von Informationen gemäß § 7 Abs. 4 TMG nF zusteht, hat der Bundesgerichtshof die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

BGH zum Zahlungsanspruch nach alter Rechtslage

Was den Zahlungsanspruch anbelangt, musste der BGH allerdings nach der alten Rechtslage vor Abschaffung der Störerhaftung entscheiden. Der Bundesgerichtshof hat daher entschieden, dass der Beklagte nach dem damaligen Recht zum Ersatz der Abmahnkosten verpflichtet ist, weil er als Störer für die Rechtsverletzung Dritter haftet.

Zunächst habe er es pflichtwidrig unterlassen, sein WLAN durch den Einsatz des damals aktuellen Verschlüsselungsstandards sowie eines individuellen Passworts gegen missbräuchliche Nutzung durch Dritte zu sichern. Sofern der WLAN-Betreiber den Internetzugang gewerblich bereitgestellt hat, war er zu diesen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet, weil er zuvor bereits darauf hingewiesen worden war, dass über seinen Internetanschluss im Jahr 2011 Urheberrechtsverletzungen im Wege des Filesharings begangen worden waren. Der Annahme einer Störerhaftung steht es nicht entgegen, dass das im Hinweis benannte Werk nicht mit dem von der erneuten Rechtsverletzung betroffenen Werk identisch ist.

Die Haftungsvoraussetzungen lägen ebenfalls vor, wenn die Rechtsverletzung über den Tor-Exit-Node erfolgt wäre. Der Betreiber dieses Tor-Exit-Nodes habe es pflichtwidrig unterlassen, der ihm bekannten Gefahr von Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing mittels technischer Vorkehrungen entgegenzuwirken. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts sei die Sperrung von Filesharing-Software technisch möglich und dem Beklagten zumutbar.

Die Urteile der Vorinstanzen

Das Landgericht (LG) Düsseldorf (Urteil vom 13. Januar 2016, 12 O 101/15) hatte der Klage noch stattgegeben.

Das Berufungsgericht, das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (Urteil vom 16. März 2017, 20 U 17/16) hatte die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln aufgegeben wird, Dritte daran zu hindern, das Videospiel oder Teile davon der Öffentlichkeit mittels seines Internetanschlusses über eine Internettauschbörse zur Verfügung zu stellen. Das OLG Düsseldorf hatte angenommen, der Beklagte hafte sowohl dann als Störer, wenn die Rechtsverletzung über einen vom Beklagten betriebenen offenen WLAN-Hotspot begangen worden sei, als auch dann, wenn die Rechtsverletzung über den ebenfalls vom Beklagten betriebenen Tor-Exit-Node geschehen sei. Der Beklagte habe es daher pflichtwidrig unterlassen, seinen Internetanschluss gegen die missbräuchliche Nutzung durch Dritte zu schützen.

tsp/tbu