Am Freitag, den 26. März 2021, wurde der Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform erstmalig im Bundestag verhandelt. Noch gibt es einige Streitpunkte rund um die Uploadfilter & Co. Gleichzeitig könnte eine aktuell anhängige Klage Polens vor dem EuGH die Reform noch teilweise kippen. Am 10. November 2020 fand bereits die mündliche Verhandlung zum Klageverfahren in Luxemburg statt. Nun werden mit Spannung die Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts erwartet. Ein Urteil des EuGH wäre sofort rechtskräftig.
In Deutschland hat der Bundestag am Freitag, den 26. 3. 2021, in der ersten Lesung über den Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform verhandelt. Auf der Zielgeraden kann die EU-Reform aber immer noch ins Wanken geraten. Am Dienstag, den 10. 11. 2020, wurde vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) über eine Nichtigkeitsklage Polens gegen Art. 17 verhandelt. Nun wird das Plädoyer des Generalanwalts zu der Nichtigkeitsklage erwartet.
Der eine oder andere mag sich infolge der Urheberrechtsreform schon mit einer scharfen Regulierung der Meinungs- und Informationsfreiheit auf Youtube abgefunden haben. Aber das heutige Verfahren kann alles nochmal auf den Kopf stellen. Wenn Polen mit seiner Nichtigkeitsklage Erfolg hat, können die Upload-Filter auf Youtube erstmal nicht durchgesetzt werden. Auch die Gesetzgebungsverfahren in den Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie würden sich erübrigen. Der EuGH hat bereits 2012 einmal entschieden, dass man aufgrund der Einschränkung der Informationsfreiheit ein soziales Netzwerk nicht zur Vorab-Filterung von Inhalten verpflichten kann. Deshalb dürfen wir darauf gespannt sein, wie er nun Stellung beziehen wird. Die Schlussanträge von Generalanwalt Saugmandsgaard Øe könnten bereits eine Richtung vorgeben.
Polen reichte im Mai 2019 Nichtigkeitsklage ein
Die Richtlinie 2019/790 über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt stellt in ihrem Artikel 17 klar, dass ein „Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten“ eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe oder eine Handlung der öffentlichen Zugänglichmachung vornimmt, wenn er der Öffentlichkeit Zugang zu von seinen Nutzern hochgeladenen urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen verschafft. Daher müssen solche Plattformen die Erlaubnis der Rechteinhaber einholen, etwa durch den Abschluss einer Lizenzvereinbarung. Für Fälle, in denen keine Genehmigung erteilt wurde, sieht die Richtlinie eine Haftungsbeschränkung zugunsten der betroffenen Plattformen vor, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen.
Unser östlicher Nachbar war daher im Mai 2019 vor den EuGH in Luxemburg gezogen. Die polnische Regierung hatte, so ließ das Außenministerium Polens mitteilen, Klage eingereicht.
Polen beanstandet im Wege einer Nichtigkeitsklage vor dem Gerichtshof, dass diese Haftungsbeschränkung in Wirklichkeit verlange, dass die Plattformen eine vorherige automatische Überprüfung (Filtern) der von Nutzern online bereitgestellten Inhalte vornähmen und damit präventive Kontrollmechanismen einführten. Ein solcher Mechanismus untergrabe den Wesensgehalt des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit und erfülle nicht das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit und der Notwendigkeit einer Beschränkung dieses Rechts.
„Die Urheberrechtsrichtlinie sei eine unverhältnismäßige Maßnahme, die die Zensur fördere und die Meinungsfreiheit gefährde“, twitterte die Kanzlei des polnischen Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Die Richtlinie gewährleiste keine Balance zwischen dem Schutz der Rechteinhaber einerseits und den Interessen der EU-Bürger und der EU-Unternehmen andererseits. Ebenso gewährleiste die Richtlinie keine Rechtsklarheit, sondern fördere die Rechtsunsicherheit für Betroffene und gefährde die Rechte aller EU-Bürger. Die EU-Urheberrechtsreform könne negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des digitalen Binnenmarktes für Europäer haben und es bestehe die eklatante Gefahr, dass sie im Ergebnis vielmehr Innovationen behindere, anstatt diese zu fördern.
Hier können Sie die eingereichte Klage einsehen:
Die Nichtigkeitsklage bietet vereinfacht gesagt Rechtsschutz gegen Akte der Unionsorgane. Bestimmte Legislativakte wie die Urheberrechtsrichtlinie, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemeinsam vom Rat der EU und vom Europäischen Parlament erlassen wurden, müssen unmittelbar vor dem EuGH als erster und letzter Instanz angefochten werden.
Der EuGH wird im Rahmen der Nichtigkeitsklage nun zu prüfen haben, ob die reformierte Urheberrechtsrichtlinie unter Beachtung der Form- und Verfahrensvorschriften erlassen wurde und auch inhaltlich mit höherrangigen Rechtsvorschriften im Einklang steht. Eine Richtlinie des Rates und des Europäischen Parlaments darf die Grenzen der zugrunde liegenden Rechtsgrundlage des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht überschreiten und muss die in der EU-Grundrechtecharta garantierten Rechte wahren.
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Warum könnte die Richtlinie für nichtig erklärt werden?
In unserer ausführlichen Analyse zu Artikel 13 der Urheberrechtsrichtlinie hatten wir bereits einige Aspekte bemängelt, an denen die Vereinbarkeit der neuen Richtlinie mit höherrangigem Europarecht scheitern könnte. Hier noch einmal die wesentlichen Punkte zusammengefasst:
Das Vorab-Filtern gerade auch von legalen Inhalten ist unserer Ansicht nach unverhältnismäßig und ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Kommunikationsgrundrechte der EU-Grundrechtecharta – eine nachträgliche Kontrolle legitimiert das nicht.
Der EuGH entschied bereits 2012 (Urt. v. 16.02.2012, Az. C-360/10), aufgrund der Einschränkung u.a. der Informationsfreiheit könne ein soziales Netzwerk nicht zur Vorab-Filterung von Inhalten verpflichtet werden. Zu groß sei der Eingriff in die Grundrechte der Nutzer und zwar in ihre Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen. Die Anordnung würde nämlich zum einen die Ermittlung, systematische Prüfung und Verarbeitung der Informationen in Bezug auf die auf dem sozialen Netzwerk geschaffenen Profile bedeuten, bei denen es sich um geschützte personenbezogene Daten handelt, da sie grundsätzlich die Identifizierung der Nutzer ermöglichen. Zum anderen könnte die Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil die Gefahr bestünde, dass das System nicht hinreichend zwischen unzulässigen und zulässigen Inhalten unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte.
Schließlich beeinträchtige die Verpflichtung, Upload-Filter einzurichten, die unternehmerische Freiheit, da teure und komplizierte Informatiksysteme dafür notwendig seien.
Insgesamt würde eine Verpflichtung zur Einrichtung von Upload-Filtern also das Erfordernis nicht beachten, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Urheberrecht einerseits und der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen andererseits zu gewährleisten.
Es ist also gut möglich, dass der EuGH erneut unter Rückgriff auf die höherrangigen EU-Grundrechte entscheiden wird und die Richtlinie damit gegen höherrangiges EU-Recht verstößt. Der jetzige Richtlinienentwurf sieht nämlich letztlich ähnliches vor, was der EuGH damals verboten hatte. Die Verletzung der EU-Grundrechte liegt damit auf der Hand.
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Ministerrat hatte im April 2019 die Reform abgenickt
Der EU-Ministerrat hatte am 15. April 2019 die umstrittene Urheberrechtsreform beschlossen. Ohne gesonderte Aussprache hatten die Minister der Mitgliedsstaaten die Reform abgenickt. Auch Deutschland hatte dafür gestimmt – allerdings mit einer rechtlich nicht bindenden Ergänzung, wonach Upload-Filter dennoch vermieden werden sollen. Damit hatte die Richtlinie die letzte Hürde genommen. Sie muss bis Juni 2021 von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.
Über zwei Jahre lang war hitzig über die Reform diskutiert worden. Im Frühjahr 2019 gingen mehrere hunderttausend überwiegend junge Leute auf die Straße, um gegen die Pläne zu demonstrieren – vergebens!
Im Zentrum der Kritik steht weiterhin Artikel 13 (jetzt Artikel 17). Dieser betrifft Plattformen, die nutzergenerierte Inhalte zu kommerziellen Zwecken organisieren und fördern. Verkürzt dargestellt müssen sie zukünftig beste Anstrengungen unternehmen, um Lizenzvereinbarungen für die urheberrechtlich geschützten Werke zu schließen, die dort hochgeladen werden. Sind die Rechteinhaber nicht gewillt, die Nutzung ihrer Werke im Netz zu erlauben, so müssen die betroffenen Plattformen dem Wortlaut der Richtlinie nach ebenfalls „beste Anstrengungen“ unternehmen, um den Upload solcher Inhalte zu verhindern. Der Einsatz sog. Uploadfilter wäre dem Wortlaut von Artikel 13 nach alternativlos. Was sich zunächst einmal nach einem ehrbaren Motiv anhört, bedeutet in der Praxis massive Einschränkungen für Plattformbetreiber und Kreative. Kleinere Unternehmen müssten auf Filtersysteme, die von Internetgiganten wie Google entwickelt würden, zurückgreifen, was für sie eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen würde. Zudem würden die Plattformen erheblich mehr filtern als gefordert. Zum einen, um der Gefahr zu entgehen, selbst für mögliche Rechtsverletzungen zu haften. Zum anderen aufgrund der begrenzten technischen Möglichkeiten entsprechender Filtersysteme. Satire, Parodie oder vom Zitatrecht gedeckte Verwendungen könnten fälschlicherweise geblockt werden, weil es technischen Systemen nicht möglich ist, diese schon für Menschen schwierige Beurteilung zu treffen. Nachträgliche Beschwerdemechanismen werden der Schnelligkeit des Internet sowie Live-Streams nicht gerecht. Die Meinungsfreiheit im Internet wäre gefährdet.
Die Bundesregierung hat in dem Prozess lange Zeit auch keine stringente Linie verfolgt. Nachdem die Proteste gegen die Reform immer größer wurden, bestand noch Hoffnung, dass die Bundesregierung ihre Haltung nochmal überdenkt, zumal auch in den Regierungsparteien immer mehr Bedenken laut wurden. Letztlich war der Druck aber offenbar so groß, dass bei der finalen Abstimmung abermals mit Ja gestimmt wurde.
Urteil des EuGH kann alles auf den Kopf stellen
Sollte die Nichtigkeitsklage Polens nun jedoch erfolgreich sein, würde der EuGH womöglich Artikel 17 insgesamt oder einen Teil davon aufheben. Der für nichtig erklärte Teil der Urheberrechtsreform würde dann als von Anfang an nicht existent gelten. Dies wäre ein Desaster für alle Befürworter und ein später Erfolg für alle Kritiker.
Auch die nationalen Regelungen, welche gerade in Arbeit sind, könnten dann in der aktuellen Form nie geltendes Recht werden. In einem solchen Fall müsste der Gesetzgebungsprozess höchstwahrscheinlich erneut anlaufen. Es müsste unter Beachtung der Vorgaben des EuGH eine neue Lösung geschaffen werden.
So geht es nun weiter! Generalanwalt Saugmandsgaard Øe wird seine Schlussanträge – eine Art unabhängiges Rechtsgutachten, welchem sich der EuGH häufig anschließt- veröffentlichen. Sodann folgt das Urteil der Luxemburger Richter. Gegen dieses gibt es kein Rechtsmittel. Ein Urteil des EuGH wäre sofort rechtskräftig.
Wir werden an dieser Stelle weiter über den Gang des Verfahrens berichten.
Zur Information: Der Artikel wurde ursprünglich am 16. Juli 2019 veröffentlicht und wurde seitdem mehrfach aktualisiert.
tsp/mle/ahe