Das Internet kennt keine Landesgrenzen, sodass auch grenzüberschreitend Forderungen aufgrund von (Urheber-)Rechtsverletzungen entstehen. Doch wer ist dafür zuständig, über solche Fälle zu entscheiden? Und welches Recht ist anwendbar? Das Landgericht Hamburg hat hier nun einen ganz eigenen Weg eingeschlagen – der sich unserer Meinung nach nicht halten wird.
Wenn über Landesgrenzen hinweg Urheberrechte verletzt werden, stellt sich zunächst die Frage: Welches Gericht ist dafür zuständig? Und in der Folge: welches Recht ist anwendbar? Der Bundesgerichtshof (BGH) und ein Großteil der deutschen Gerichte gehen davon aus, dass es für beide Fragen reicht, wenn der (urheberrechts-)verletzende Inhalt im Inland abrufbar ist. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die fragliche Internetseite auf den Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts „ausgerichtet“ ist. Doch genau das scheint nun das Landgericht (LG) zu verlangen und will deutsches Recht nur anwenden, wenn ein „hinreichend wirtschaftlich relevanter Inlandsbezug“ (= commercial effect) gegeben ist (Urt. v. 16.09.2022, Az. 310 O 442/20). Damit geht es unserer Ansicht nach zu weit. Eine Analyse:
Unternehmen nutzt fremde Produktbilder für eigene Website
Geklagt hatte hier ein Bekleidungsunternehmen, das Bekleidungsstücke herstellt und vertreibt. Seine Produktbilder der Kleidungsstücke fertigt es eigenständig an und lizenziert diese an Dritte zur Nutzung. Beklagte war ein ebenfalls in Deutschland ansässiges Unternehmen, das insgesamt 149 Bilder der Klägerin ohne deren Genehmigung innerhalb ihrer in kyrillischer Sprache angefassten Web-Shops verwendet hatte.
Das klagende Unternehmen hatte im Jahr 2020 entdeckt, dass diverse von ihr erstellte Bilder von Models mit Kleidungsstücken in der Google-Bildersuche abrufbar waren. Beim Klicken auf die jeweiligen Bilder, wurde die Klägerin auf Webshops des beklagten Unternehmens mit den Top-Level-Domains .ru (für Russland) und .ua (für die Ukraine) weitergeleitet. Der gezeigte Text auf den Internetseiten war weitestgehend in kyrillischer Schrift abgefasst, wobei Artikelbeschreibungen teilweise auch in deutscher Sprache erfolgten. Die Klägerin entdeckte auf den Internetseiten auch eine Fehlermeldung in deutscher Sprache. Physisch abgelegt waren die Bilder – jedenfalls teilweise – auf einem Server in Deutschland.
Da die Rechteinhaberin der Fotos der Betreiberin dieser Internetseiten die Nutzung Ihres Bildmaterials nicht gestattet hatte, erging eine Abmahnung, in welcher die Klägerin Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche sowie Abmahnkosten geltend machte. Nachdem eine außergerichtliche Einigung nicht gefunden werden konnte, folgte nunmehr das Klageverfahren.
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Bedeutung des Begriffs „Inlandsbezug“ im Urheberrecht
Kernpunkt eines jeden Verfahrens mit grenzüberschreitendem Sachverhalt ist der „Inlandsbezug“ einer (Rechts-)Verletzungshandlung. Die Frage, ob durch eine Verletzungshandlung ein Inlandsbezug gegeben ist, stellt sich sowohl bei der Frage nach dem zuständigen Gericht als auch bei der Frage danach, ob eine Rechtsverletzung (des inländischen) Rechts vorliegt.
Die Gerichte prüfen bei Sachverhalten mit Auslandsbezug bereits von Amts wegen zunächst, ob das jeweilige Gericht international sowie örtlich zuständig ist, da nur ein zuständiges Gericht in der Sache entscheiden kann. Dabei wird die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte regelmäßig durch dessen örtliche Zuständigkeit indiziert.
Örtlich zuständig ist in Deutschland bei Fällen von Urheberrechtsverletzungen im Internet üblicherweise das Gericht am Wohnsitz des beklagten Unternehmens (§§ 12, 17 ZPO) sowie das Gericht, in dessen Gerichtsbezirk eine Rechtsverletzung stattfindet (sog. Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, § 32 ZPO).
In Verfahren, die Rechtsverletzungen im Internet mit grenzüberschreitenden Urheberrechtsverletzungen betreffen, wird hierbei regelmäßig auf die Abrufbarkeit des rechtsverletzenden Inhaltes, beispielsweise des Bild- oder Videomaterials, abgestellt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die fragliche Internetseite auf den Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts „ausgerichtet“ ist (vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2015 – C 441/13, so auch BGH, Urteil vom 21.04.2016, I ZR 43/14 – „An evening with Marlene Dietrich). Die bloße Möglichkeit, die fragliche Internetseite in Deutschland abrufen zu können, ist zur Annahme der gerichtlichen Zuständigkeit ausreichend. Sofern eine Internetseite somit (jedenfalls auch) im Gerichtsbezirk abrufbar ist, wird regelmäßig auch dessen örtliche Zuständigkeit begründet.
LG Hamburg erklärt sich für zuständig, verneint aber Anspruch
Mittels eines Testkaufes konnte das klagende Unternehmen belegen, dass bei einer Bestellung über einen der Webshops (denjenigen mit der Top Level-Domain .ru) der Versand der Ware aus Deutschland erfolgte. Daher ging es auch davon aus, auch in Deutschland klagen zu können.
Das LG Hamburg hatte in dem zu entscheidenden Fall ebenfalls seine eigene Zuständigkeit angenommen. Es stellte einerseits darauf ab, dass einerseits das beklagte Unternehmen seinen Sitz in Hamburg hatte, andererseits auf die beiden Webshops jedenfalls auch im Bezirk des Landgerichts Hamburg zugegriffen werden konnte. Da die streitgegenständlichen Internetseiten in Deutschland abrufbar waren, sei die Möglichkeit des Zugriffes auf die Internetseiten im Inland ausreichend. Die geographische Bestimmung des Inhalts (hier Ukraine und Russland) sei hierbei nicht entscheidend. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Urheberrechtsverletzungen im Internet richtete sich nach der bloßen Abrufbarkeit der Internetseite.
Unabhängig davon sei nach Ansicht des LG Hamburg die Anwendung deutschen Rechts und die materiell-rechtliche Verletzung bei Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug zu werten. Im konkreten Fall befand das LG, dass keinerlei Ansprüche wegen der unberechtigten Verwendung des Bildmaterials durch das beklagte Unternehmen bestehen würden. Denn hierfür sei ein hinreichender wirtschaftlich relevanter Inlandsbezug (= „commercial effect“) erforderlich. Diesen sah das LG bei dieser Fallgestaltung nicht.
Für die Beurteilung seien einerseits die Auswirkungen der Verwendung auf die inländischen wirtschaftlichen Interessen des Rechteinhabers zu berücksichtigen. Andererseits sei maßgebend, ob und inwieweit die Rechtsverletzung sich als unvermeidbare Begleiterscheinung technischer oder organisatorischer Sachverhalte darstelle, auf welche die Inanspruchgenommene keinen Einfluss hat. Relevant sei außerdem, ob diese etwa durch die Schaffung von Bestellmöglichkeiten aus dem Inland oder die Lieferung auch ins Inland zielgerichtet von der inländischen Erreichbarkeit profitiere. Hierdurch solle der Gefahr begegnet werden, dass es zu einer uferlosen Ausdehnung des Schutzes nationaler Rechtspositionen und zu einer unangemessenen Beschränkung der wirtschaftlichen Entfaltung ausländischer Unternehmen kommen könne.
Bei über das Internet in das Inland vermittelten Sachverhalten sei zu beachten, dass sich nicht schon aus der bloßen Zugänglichkeit eines Internetauftritts im Gebiet eines bestimmten Staates darauf schließen lasse, dass der Betreiber dieses Angebots eine dem Urheber vorbehaltene Handlung gerade im Inland vornimmt. Vielmehr hänge die Lokalisierung der Handlung davon ab, ob der Handelnde mit dieser Form der Verbreitung diejenigen Personen, die sich in diesem Gebiet befinden, gezielt ansprechen wolle.
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LG Hamburg verlangt offenbar Ausrichtung auf deutschen Markt
Hierbei ist das LG Hamburg offenbar davon ausgegangen, dass für die Annahme einer Verletzung inländischen Rechts eine beabsichtigte Ausrichtung des Angebotes auf den deutschen Markt erforderlich sei. Also anders ausgedrückt, dass sowohl eine objektive Rechtsverletzung vorliegen muss als auch die Ausrichtung auf das Inland als subjektives Element. Der Rechtsprechung der BGH zu derartigen Urheberrechtsverletzungen ist jedoch zu entnehmen, dass bereits im Falle leichter Fahrlässigkeit eine Sorgfaltspflichtverletzung anzunehmen ist (Urt. v. 10.10.1991, Az. I ZR 147/89 – Bedienungsanweisung). Außerdem sagt der BGH, dass für die Annahme einer Rechtsverletzung kein besonderes Verschulden erforderlich ist, sondern die Erfüllung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen bereits zur Annahme einer Rechtsverletzung ausreichend ist (Urt. v. 5.11.2015, Az. I ZR 88/13 – Al Di Meola). Der BGH fordert also gerade ein derartiges subjektives Element nicht. Das LG hat damit in diesem Fall bewusst deutlich weitergehende Voraussetzungen für eine Haftung des beklagten Unternehmens angenommen, als dies nach entsprechender Rechtsprechung des BGH erforderlich gewesen wäre.
Das LG Hamburg setzt damit konsequent seine Rechtsprechung fort (vgl. Urt. v. 17.06.2016, Az. 308 O 161/13, OLG Hamburg, Beschl. v. 15.07.2021, Az. 5 W 13/21) und verlangt zur Anspruchsbegründung einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug („commercial effect“). Einen derartigen Inlandsbezug konnte das Gericht in seiner Entscheidung trotz der Abrufbarkeit in Deutschland, den teilweise deutschsprachigen Inhalten der Webshops sowie der Verwendung in Deutschland befindlicher Server zum Betrieb der Webshops nicht feststellen.
Das Gericht führte aus, dass bereits die Top Level-Domains der Internetseiten (.ru sowie .ua) einen mangelnden Inlandsbezug indizieren. Diese richteten sich allenfalls an einen geringen Bruchteil der inländischen Bevölkerung. In Deutschland lebende ukrainisch- oder russisch-sprachige Personen würden insoweit nicht auf die beiden Webshops der Beklagten zugreifen, sondern vorwiegend Seiten unter einer deutschen Top Level-Domain aufsuchen. Weiterhin könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Lieferung der Produkte nach Deutschland stattfinde. Insoweit sei es auch nicht ausreichend, dass Beschreibungen der Produkte und eine Fehlermeldung in den Webshops in deutscher Sprache vorgehalten worden waren. Auch unter Berücksichtigung, dass die Möglichkeit besteht, dass nicht-deutschsprachige, im Inland ansässige Interessenten eine ausländische, vorrangig auf den außerdeutschen Markt ausgerichtete Website bevorzugen könnten, weil sie die fremde Sprache besser verstehen, sei keine Ausrichtung auf den deutschen Markt anzunehmen. Weiterhin komme es nach Einschätzung des Gerichts ebenfalls nicht darauf an, dass innerhalb der AGB der beiden Webshops ein deutscher Gerichtsstand für Streitigkeiten angegeben werde, da „diese Regelung in den AGB keinen maßgeblichen Einfluss auf die Attraktivität der Internetseite für die Nutzer hätte, sondern vornehmlich dem eigenen Interesse der Beklagten diente“.
Konsequenterweise gelangte das LG Hamburg sodann zu dem Ergebnis, dass die Klage mangels einer (inländischen) Rechtsverletzung abzuweisen sei und keinerlei Ansprüche des klagenden Bekleidungsunternehmens wegen der unberechtigten Verwendung seines Produktbildmaterials bestünden.
Bewertung der Entscheidung des Landgerichts Hamburg
Die Rechtsauffassung des Landgerichts Hamburg dürfte in dieser Form wohl kaum mehrheitsfähig sein. Denn das Gericht hat bei der jeweiligen Bewertung der Einzelaspekte doch eine recht einseitige Bewertung vorgenommen. Dabei hat es die einzelnen – sicherlich nur mit geringen Auswirkungen auf Deutschland verbundenen – Aspekte keiner ausreichend wertenden Gesamtbetrachtung unterzogen. Hätte es dies getan, wäre diese wohl zu Gunsten der klagenden Bekleidungsherstellerin ausgefallen wäre.
Im Gegensatz zur Auffassung des LG Hamburg ist nach Einschätzung vieler Gerichte ein derartiger hinreichender wirtschaftlich relevanter Inlandsbezug („commercial effect“) üblicherweise nicht erforderlich. Stattdessen ist bereits die Abrufbarkeit innerhalb Deutschlands ausreichend. So führt beispielsweise das OLG Köln wörtlich hierzu aus, dass „es nicht erforderlich (ist), dass der Internetauftritt bestimmungsgemäß (auch) im Inland abgerufen werden kann“, sondern dass bereits die Abrufbarkeit alleine ausreichend ist (Urt. v. 27.08.2021, Az. 6 U 96/21). Auch das LG Köln hat diese Auffassung in einem von unserer Kanzlei betriebenen Verfahren in einem jüngst ergangenen Teilurteil Ende Oktober erneut bestätigt.
Hinter der Entscheidung des LG Hamburg steht die Überlegung, dass deutsche Gerichte und deutsches Urheberrecht nicht auf jedwede über das Internet abrufbaren Inhalte angewendet werden können und hierbei eine weltweite Kontrolle von Inhalten anhand der in Deutschland geltenden Maßstäbe erfolgen kann. Zwar mag dieser Gedanke nachvollziehbar sein. Jedoch verkennt das LG hierbei, dass das Territorialitätsprinzip insoweit keine dogmatischen Abweichungen hinsichtlich der Erforderlichkeit eines bestimmungsgemäßen Inlandsbezugs rechtfertigt. Stattdessen muss das Gericht vielmehr im Rahmen der Schadensbemessung korrigierend eingreifen. Bei dieser kann das jeweils angerufene Gericht naturgemäß nur den im Inland eingetretenen Schaden im Rahmen seiner Entscheidung berücksichtigen. Und bei Fallkonstellationen mit Schwerpunkt der Rechtsverletzung im Ausland dürfte dieser entsprechend gering zu bewerten sein.
Aus diesem Grund kann gerade bei urheberrechtlichen Klageverfahren auch der Wahl des Gerichts, bei dem eine Klage eingereicht wird, eine entscheidende Bedeutung zukommen. Daher empfiehlt sich die Beauftragung eines auf den jeweiligen Rechtsbereich spezialisierten Rechtsanwaltes.