Das LG Ham­burg hatte 2020 im Streit um die Rech­te am Lied­text “Hey, Pippi Lang­strumpf“ zu­guns­ten der Erben von As­trid Lind­gren ent­schie­den. Die deut­sche Text­ver­si­on ver­let­ze das Ur­he­ber­recht an der li­te­ra­ri­schen Figur. Die Erben Lindgrens müss­ten an der Ver­wer­tung des Lied­tex­tes be­tei­ligt wer­den. Nun kam es zu einer Einigung zwischen den Parteien.

2020 urteilte zuletzt das Landgericht (LG) Hamburg, dass der deutsche Text des Liedes „Hey, Pippi Langstrumpf“ das Urheberrecht verletze, weshalb die Erben der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren (1907-2002) an der Verwertung des Liedtextes beteiligt werden müssten. Lindgren habe bereits 1969 ausdrücklich abgelehnt, dass sich der Verfasser der deutschen Textversion, Wolfgang Franke, als alleiniger Autor nenne (LG Hamburg, Az. 308 0 431/17).

Nach dem seit Jahren andauernden Rechtsstreit konnten sich nun die Erben der Pippi Langstrumpf-Schöpferin und die Münchner Filmkunst-Musikverlags- und Produktionsgesellschaft (FKM) einigen und ihren Konflikt beilegen.

Erben Astrid Lindgrens gegen deutschen Texter Wolfgang Franke

1945 erschien das Kinderbuch im schwedischen Original, für das Astrid Lindgren den Liedtext „Här kommer Pippi Långstrump“ gedichtet hatte. Die Text-Fassung von Wolfgang Franke war durch die 1969 herausgekommene deutsch-schwedische Fernsehserie bekannt geworden. Franke hatte hierfür den Text „Hey Pippi Langstrumpf“ getextet, welcher u.a. die folgende berühmte Passage beinhaltet:

Zwei mal drei macht vier
widewidewitt und drei macht neune
ich mach‘ mir die Welt
widewide wie sie mir gefällt.“

Der Nutzung im Film hatte Lindgren zugestimmt. Die Erben Lindgrens versuchten bereits seit 2014 gemeinsam mit Autor Franke und später mit seiner Witwe und der Filmkunst-Musikverlags- und Produktionsgesellschaft über eine Beteiligung an den Einnahmen zu verhandeln, soweit das Lied außerhalb des Films verbreitet wird. Schlussendlich klagten sie vor dem LG Hamburg auf Auskunftserteilung über die mit dem Lied erzielten Einnahmen sowie auf Unterlassung.

Die Erbengemeinschaft der schwedischen Autorin sehen in der Nutzung des Langstrumpf-Liedes eine Urheberrechtsverletzung, da sich die deutsche Textfassung eindeutig an der schwedischen Vorlage orientiere. Insbesondere die Rechenschwäche und die grundlegende Weltanschauung Pippi Langstrumpfs seien typische Elemente der von Lindgren erschaffenen Figur Pippi Langstrumpf. Franke und die Filmkunst-Musikverlags- und Produktionsgesellschaft betrachten den deutschen Liedtext hingegen als eine eigene Schöpfung, die als unabhängige Bearbeitung zu werten sei. Texter Franke habe nur die Grundzüge der Figur verwendet, aber eine große schöpferische Eigenleistung erbracht und sogar Neuerfindungen kreiert. So sei etwa die Villa Kunterbunt im Originaltext gar nicht vorhanden, Frankes Text erwähne aber das „kunterbunte Haus“.

Soforthilfe vom Anwalt

Sie brauchen rechtliche Beratung? Rufen Sie uns an für eine kostenlose Ersteinschätzung oder nutzen Sie unser Kontaktformular.

Wir sind bekannt aus

Pippi Langstrumpf genießt Charakterschutz

Bereits im Rahmen einer Anhörung 2019 gab das LG Hamburg die Einschätzung ab, dass es zwar anerkenne, dass Franke eine erhebliche schöpferische Eigenleistung erbracht habe. Möglicherweise überlagere auch der deutsche Text das schwedische Original derart, dass der Originaltext dahinter verblasse. Im Fall sei jedoch die Eigenleistung nicht das entscheidende Kriterium. Vielmehr sei Pippi Langstrumpf eine literarische Figur, die Charakterschutz genieße. Da der Liedtext ihre urtypischen Elemente, wie Haus, Äffchen, Pferd und ihre Rechenschwäche erwähne, komme eine Urheberrechtsverletzung durchaus in Betracht.

Urteil des LG Hamburg

In diesem Sinne urteilte das LG Hamburg nun letztlich auch. Die Figur der Pippi Langstrumpf genieße Urheberrechtsschutz als Sprachwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG).

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sei anerkannt, dass bei Werken der Literatur nicht nur die konkrete Textfassung oder die unmittelbare Formgebung eines Gedankens urheberrechtlich schutzfähig seien. Urheberrechtsschutz würden vielmehr auch eigenpersönlich geprägte Bestandteile und formbildende Elemente des Werkes genießen, die im Gang der Handlung, in der Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen, der Ausgestaltung von Szenen und in der „Szenerie“ einer Erzählung lägen.

Neben der Fabel, d.h. dem Handlungs- und Beziehungsgeflecht der Charaktere, würden daher auch einzelne Charaktere des Sprachwerkes selbstständigen Urheberrechtsschutz genießen, sofern sie sich durch eine unverwechselbare Kombination äußerer Merkmale, Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und typischen Verhaltensweisen auszeichneten, somit zu besonders ausgeprägten Persönlichkeiten geformt seien und jeweils in einer bestimmten charakteristischen Weise aufträten. Dieser Schutz einer fiktiven Person könne auch unabhängig vom konkreten Beziehungsgeflecht und dem Handlungsrahmen bestehen, wie sie in der Fabel der Erzählung ihren Ausdruck gefunden hätten.

Zwar würden die in einer Erzählung handelnden Personen ihr charakteristisches Gepräge zumeist erst durch ihre Handlungen und Interaktionen mit anderen dargestellten Personen gewinnen. Dies schließe jedoch nicht aus, dass sich die darin zum Ausdruck gelangende Persönlichkeit verselbstständige, wenn ihre typischen Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen in variierenden Handlungs- und Beziehungszusammenhängen – insbesondere bei Fortsetzungsgeschichten – regelmäßig wiederkehren würden.

Voraussetzung für den isolierten Schutz eines fiktiven Charakters sei es nach Auffassung des LG Hamburg demnach, dass der Autor dieser Figur durch die Kombination von ausgeprägten Charaktereigenschaften und besonderen äußeren Merkmalen eine unverwechselbare Persönlichkeit verleihe. Dabei sei ein strenger Maßstab anzulegen. Allein die Beschreibung der äußeren Gestalt einer handelnden Figur oder ihres Erscheinungsbildes werde dafür in aller Regel nicht genügen.

So hat der BGH bereits festgestellt, dass nach diesem Maßstab der von Astrid Lindgren geschaffenen und in zahlreichen Erzählungen ausgestalteten Figur der Pippi Langstrumpf urheberrechtlicher Schutz zuzusprechen ist.

Sie haben eine Pressefrage an uns?

Kontaktieren Sie unsere Presseabteilung. Wir sind für Journalistinnen und Journalisten aller Medien jederzeit schnell erreichbar und äußern uns zeitnah, fundiert und verständlich.

Liedtext stellt unfreie Bearbeitung dar

Der angegriffene Liedtext „Hey, Pippi Langstrumpf stelle nach Überzeugung des Gerichts eine unfreie Bearbeitung der literarischen Figur der Pippi Langstrumpf im Sinne des § 23 UrhG dar, weshalb ohne die Einwilligung Lindgrens eine Verwendung rechtswidrig gewesen sei. Die angegriffenen Nutzungshandlungen seien auch nicht gemäß § 24 UrhG als so genannte freie Benutzungen geschützt.

Der Liedtext knüpfe ersichtlich an die von Astrid Lindgren geschaffene Figur der Pippi Langstrumpf unmittelbar an und bringe damit zum Ausdruck, dass die Pippi Langstrumpf, die dem Leser bzw. Zuhörer im Liedtext begegne, eben jene sei, die er bereits aus den Astrid Lindgren-Erzählungen kenne. Dies geschehe dadurch, dass in dem Text und dessen Titel nicht nur der Name „Pippi Langstrumpf‘ ausdrücklich übernommen werde, sondern daran anknüpfend auch diverse charakteristische Merkmale dieser Figur aus den Erzählungen Astrid Lindgrens übernommen würden.

Hervorzuheben seien insoweit die ungewöhnlichen Lebensumstände Pippi Langstrumpfs, in denen zugleich ihre -jedenfalls für ein Kind – überdurchschnittlichen Vermögensverhältnisse anklingen

Ich hab’ ein Haus,
ein kunterbuntes Haus,
ein Äffchen und ein Pferd,
die schauen dort zum Fenster raus
“,

sowie ihre mit Fantasie und Wortwitz gepaarte Furcht- und Respektlosigkeit, die auch in ihrer unkonventionellen, zugleich aber fröhlichen Art der Lebensführung und ihrem eigenwilligen Umgang mit vermeintlich allgemeingültigen Regeln, z.B. der Mathematik, zum Ausdruck komme

Zwei mal drei macht vier,
widewidewitt und drei macht neune,
ich mach‘ mir die Welt,
widewide wie sie mir gefällt.

Hey – Pippi Langstrumpf,
trallari trallahey tralla hoppsasa,
Hey – Pippi Langstrumpf,
die macht, was ihr gefällt.“

 „Drei mal drei macht sechs
widewide wer will’s von mir lernen?
Alle groß und klein,
 tralalala lad‘ ich zu mir ein
.“

Als Franke den Liedtext verfasste, waren diese charakteristischen Eigenschaften der Figur Pippi Langstrumpf durch die bis dahin publizierten Pippi Langstrumpf-Erzählungen bereits weithin – auch Franek selbst- bekannt.

Der Umstand, dass in dem Liedtext auch eigenschöpferische Elemente enthalten seien, etwa in Gestalt seiner individuellen und kunstvollen Wortwahl und Formulierungen, führe zwar dazu, dass Franke insoweit seinerseits urheberrechtlichen Schutz beanspruchen könne. Dieser Umstand ändere aber nichts daran, dass gleichwohl eine unfreie Bearbeitung der urheberrechtlich geschützten Figur der Pippi Langstrumpf vorliege denn er führe nicht dazu, dass der durchschnittliche Leser/Hörer des Liedtextes annehmen könnte, die Figur der Pippi Langstrumpf aus dem Liedtext sei deshalb eine andere als in den Pippi Langstrumpf-Erzählungen Astrid Lindgrens.

Verwertung des Pipi Langstrumpf-Liedes nur mit Einwilligung

Für den in vielfältiger Weise verwerteten Liedtext, sei gemäß § 23 UrhG eine Einwilligung Astrid Lindgrens bzw. ihrer Rechtsnachfolger erforderlich gewesen. Eine solche Einwilligung liege jedoch nicht vor, weshalb die Münchner Filmkunst-Musikverlags- und Produktionsgesellschaft und Frankes Witwe den Text „Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune, ich mach‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt...“ nicht weiterverbreiten dürfen. Ferner müssen sie Auskunft über die Einnahmen seit 2007 erteilen und den Lindgren-Erben Schadenersatz für die entgangene Beteiligung zahlen.

Lindgren-Erben einigen sich mit Münchner Musikverlag

Alle Prozessbeteiligten waren sich damals einig, dass es sehr schade wäre, wenn der Liedtext nicht mehr verbreitet werden könnte, weshalb die Parteien alles daran setzen wollten, dass das nicht passiert. Schließlich sei Pippi Langstrumpf eine Ikone, fast schon deutsches Kulturgut. Nach ihrem seit Jahren andauernden Rechtsstreit konnten die Erben der Pippi Langstrumpf-Schöpferin und die Münchner Filmkunst-Musikverlags- und Produktionsgesellschaft (FKM) ihren Konflikt nun beilegen. Sie einigten sich darauf, dass Astrid Lindgren künftig bei der GEMA als Mitautorin des deutschen Titelsongs eingetragen wird. Die in Zukunft durch das Lied erzielten Einnahmen sollen demnach geteilt werden. Von der Vereinbarung sind auch die während des Rechtsstreits zurückgehaltenen Einnahmen erfasst. Die Erbin von Wolfgang Franke, dem Verfasser des deutschen Liedtextes, stimmte der Vereinbarung ebenfalls zu. Darüber hinaus schlossen die Astrid Lindgren Company und der Musikverlag einen Vertrag über die Verwertungsrechte an der deutschen Version des Liedes. Die anstehende Berufung werde deshalb zurückgenommen.

tsp/tei