Haften Autohersteller im Diesel-Abgasskandal auch bei Fahrlässigkeit und nicht erst bei nachgewiesenem Vorsatz? Die Antwort darauf lautet „Ja“. Der BGH hat endlich seine Rechtsprechung ergänzt und sogar in Teilen geändert. Diesel-Käufer können danach auch dann Schadensersatz verlangen, wenn sog. Thermofenster die Abgasreinigung manipulieren. Dabei geht es um Milliarden Euro, Millionen manipulierter Autos und die Chance der Autobesitzer, endlich zu ihrem Recht zu kommen und Schadensersatz einfordern zu können.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Thermofenster in Dieselmotoren eine illegale Abschalteinrichtung sind. Autohersteller wie Audi, Mercedes, VW und Co. müssen somit auch dann Schadenersatz leisten, wenn sie fahrlässig gehandelt haben. Der BGH hat drei Fälle zu Mercedes, Audi und VW exemplarisch verhandelt und nun sein Urteil gefällt, was die Chancen für Millionen betroffene Autofahrer ab sofort enorm stärkt.

Dabei hat der BGH auch das gerade erst ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) umgesetzt und sich endlich von seiner bisherigen verbraucherunfreundlichen Haltung distanziert. Der EuGH hatte in einem Mercedes-Verfahren die Hürden für erfolgreiche Diesel-Klagen massiv gesenkt. Denn nach Auffassung des EuGH genügt bereits Fahrlässigkeit genügt zur Durchsetzung von Ansprüchen auf Schadensersatz. Dem BGH blieb nun keine andere Option, als sich dem EuGH und geltendem europäischen Recht anzuschließen.

Unserer Einschätzung nach dürfte auf die Autohersteller nun eine erneute Klagewelle durch geschädigte Diesel-Käufer zukommen. Schließlich sind die sog. Thermofenster bei unzähligen Herstellern nahezu Standard.

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BGH hat in drei Verfahren entschieden

Insgesamt beschäftigte sich der BGH gleich drei Verfahren zeitgleich. Alle drei Kläger wollen ihre Kauf- und Finanzierungsverträge rückabwickeln und so gestellt werden, als hätten sie ihr Fahrzeug nie gekauft. In allen drei Fahrzeugen sind Motoren mit sog. Thermofenstern verbaut, die von EuGH als illegale Abschalteinrichtung eingestuft wurden. 

Im ersten Verfahren ging es um die Klage eines Fahrzeugbesitzers, der einen VW Passat mit dem Diesel-Motor EA288-Motor erworben hatte. Der EA288- Motor ist der Diesel-Nachfolge-Motor des EA189, der 2015 das Abgasbeben ausgelöst hatte. Das spezielle Fahrzeug wurde bislang nicht offiziell zurückgerufen, jedoch wurde in unabhängigen Abgastests bereits festgestellt, dass u.a. der Passat mit dem verbauten EA288-Motor im Normalbetrieb unerlaubt viele Schadstoffe ausstößt. Der Mann forderte im Verfahren daher Schadensersatz von Volkswagen (BGH, Az. VIa ZR 335/21).

In einem der beiden weiteren Verfahren verhandelte der BGH über die Klage eines Audi-Besitzers, der eine Audi SQ5 Allroad 3.0 TDI gekauft hatte, welches mit einem Motor der Baureihe EA 896Gen2BiT ausgerüstet ist. Er hatte den Wagen allerdings erst erworben, nachdem die Manipulation des Fahrzeugs bereits öffentlich bekannt war (BGH, Az. VIa ZR 533/21).

Im dritten Verfahren verhandelte der BGH schließlich über die Klage eine Fahrzeugbesitzers, der einen Mercedes-Benz C-Klasse mit einem OM651-Dieselmotor erworben hatte und ebenfalls Schadensersatz geltend macht (BGH, Az. VIa ZR 1031/22).  

BGH hat automobilfreundliche Haltung angepasst

Bislang hatte der BGH einen Schadensersatzanspruch im Fall der sog. Thermofenster abgelehnt, da im Einbau der Thermofenster lediglich ein fahrlässiger Rechtsverstoß zu sehen sei, für einen Schadensersatzanspruch jedoch bedürfe es einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, was in diesen Fällen nicht anzunehmen sei. Auch eine Vorlagefrage wollte der BGH dem EuGH partout nicht vorlegen. Ein Irrsinn und eine völlig unverständliche enorm automobilfreundliche Auffassung, denn der Nachweis des Vorsatzes ist für Verbraucher sehr schwierig zu führen. Wie soll ein Verbraucher die Machenschaften und Betrügereien der Autogiganten nachweisen?

Das zeigte sich, als der EuGH am 21. März 2023 per Urteil dem Abgasskandal nochmals eine völlig neue Richtung gab. Der EuGH urteilte, dass Käufer eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, wie Thermofenstern, gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn ihnen durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. Autohersteller, die mit Abschalteinrichtungen die Abgasreinigung von Dieselmotoren auf unzulässige Weise manipulieren, können insofern haftbar gemacht werden. Und dabei ging der EuGH sogar so weit, dass Ansprüche auf Schadensersatz auch dann bestehen, wenn Hersteller fahrlässig und nicht nur vorsätzlich gehandelt haben. Damit erteilte er der bisherigen Auffassung des BGH eine klare Absage.

Die Entscheidung des BGH

BGH – Foto von Joe Miletzki

Nun hat sich der BGH der EuGH-Haltung angepasst und dürfte damit Millionen von Betroffenen neue Chancen auf Schadensersatz eröffnet haben. Dies war auch an der Zeit, da allein am BGH derzeit noch rund 2000 Verfahren anhängig sind und über 100.000 Verfahren in den unteren Instanzen.

Für geschädigte Diesel-Kunden heißt das Urteil nun, dass es ab sofort genügt, wenn man den Herstellern fahrlässiges Handeln nachweisen kann, um Schadensersatz zu erhalten. Ob den Fahrzeugherstellern tatsächlich Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, hatte der BGH zwar nicht zu entscheiden. Laut BGH müssen aber die Hersteller darlegen und beweisen, dass sie weder vorsätzlich gehandelt noch fahrlässig verkannt haben, dass im Fahrzeug eine illegale Abschalteinrichtung verbaut ist. Sollte ihnen das gelingen, besteht kein Haftungsanspruch. Landgerichte und Oberlandesgerichts müssen dies prüfen.

Gelingt ihnen das nicht, erhalten Käufer Schadensersatz. Und mit dem Begriff des „Differenzschadens“ ruft der BGH prompt auch eine neue Form des Schadensersatzes auf den Plan. Die simple BGH-Formel lautet hier:

Illegale Abschalteinrichtung = Schadensersatz

Schließlich haben getäuschte Verbraucher nicht nur das Vertrauen in die Hersteller verloren, sondern ihnen ist auch ein Schaden entstanden – zumindest hypothetisch. Dieser hypothetische Schaden besteht laut BGH einerseits in der drohenden Stilllegung des manipulierten Fahrzeugs sowie andererseits im potenziell geringeren Erlös beim Weiterverkauf. Daraus folgt der Erfahrungssatz, dass der Diesel-Käufer sein Fahrzeug nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätte. Statt großem Schadensersatz, also der Rückabwicklung des Kaufvertrages, soll es wegen Vermögensminderung nun immer einen Anspruch auf Rückzahlung von 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises geben.

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Betroffenen Verbrauchern ist daher zu raten, sich anwaltlich beraten zu lassen. Die Chancen für die gerichtliche Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs stehen nach aktueller Rechtsprechung sehr gut.

Nutzen Sie daher diese neue Entwicklung und lassen sich anwaltlich beraten. Wir prüfen Ihren konkreten Fall und geben Ihnen eine Ersteinschätzung, bevor wir uns auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

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