Jetzt klagt künftig auch die Natur. Kann das sein? In anderen Staaten werden eigene Rechte der Natur bereits anerkannt. Nun wagt sich auch in Deutschland das LG Erfurt als erstes Gericht in diese Richtung und begeht damit Neuland. Und das ausgerechnet in einem Diesel-Abgasskandal-Fall – den Käufer eines BMW dürfte dies freuen.
Seit nunmehr etlichen Jahren beschäftigt uns sowie die Auto-Konzerne und Gerichte der Diesel-Abgasskandal. Der Abgasskandal hat sich als größter Umwelt- und Industrieskandal der jüngeren deutschen Geschichte entpuppt. So wurde in Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns und anderer Herstellern wie Mercedes-Benz, BMW, Fiat-Chrysler und Opel illegale Abschalteinrichtungen eingebaut. Und die Erfolgsaussichten der Verbraucher sind bis heute enorm gestiegen.
Erst die Rechtsprechung am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat am Bundesgerichtshof (BGH) tatsächlich nach Jahren Diesel-Skandal 2023 eine verbraucherfreundliche Wende eingeleitet. Besitzern von Diesel-Fahrzeugen, in denen beispielsweise eine illegale Abschalteinrichtung die Abgasreinigung temperaturgesteuert („Thermofenster“) manipuliert, ist ein Differenzschaden entstanden. Nach dem letztjährigen BGH-Diesel-Urteil steht betroffenen Verbrauchern daher Schadensersatz von bis zu 15 Prozent des Kaufpreises zu.
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Jetzt „klagt“ auch die Natur mit
Und zunächst erscheint das Verfahren vor dem Landgericht (LG) Erfurt auch wie einer von tausenden „normalen“ Abgasskandal-Fällen (LG Erfurt, Urt. v. 02.08.2024, Az. 8 O 1373/21). Im dortigen Verfahren wurde dem Käufer eines BMW 750 D X-Drive mit einem unzulässigen Thermofenster ein sog. „kleinen“ Schadensersatz zugesprochen, das heißt der Betroffene Käufer erhält eine Erstattung in Höhe von 10% des ursprünglichen Kaufpreises, hier 6.670 Euro.
Schaut man sich die Begründung des Gerichts jedoch an, wird es spannend, denn als erstes deutsches Gericht erkennt es die Eigenrechte der Natur an, die sich aus der Grundrechtscharta der EU ergeben würden. Diese Rechte der Natur seien – wie in zahlreichen anderen Rechtsordnungen, etwa in Südamerika – von Amts wegen und unabhängig von entsprechendem Vortrag der Parteien oder einer ausdrücklichen Berufung hierauf zu berücksichtigen. Diese träten daher auch bei der Bemessung der Schadenshöhe „schutzverstärkend hinzu“.
Klimawandel würde Eigenrechte der Natur gebieten
Die Anerkennung von spezifischen Rechten ökologischer Personen durch Auslegung und Anwendung des geltenden EU-Rechts sei aufgrund der Wichtigkeit und Dringlichkeit der ökologischen Herausforderungen – Klimawandel, Artensterben und Globalvermüllung – und angesichts drohender irreversibler Schäden geboten, so das LG. Diese Eigenrechte der Natur ließen sich so insbesondere aus dem Recht auf Leben und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit herleiten. Die Grundrechte seien „ihrem Wesen nach“ auf die Natur oder einzelne Ökosysteme – sogenannte ökologische Personen – anwendbar.
Es sei im Übrigen kein Grund dafür ersichtlich, zwar juristische Personen – oder künftig Künstliche Intelligenz – umfassend grundrechtlich zu schützen, nicht jedoch ökologische Personen. Letztlich würde nur eine „Waffengleichheit“ hergestellt. Dass das LG „zwar nicht in wissenschaftlicher Hinsicht, wohl aber in der Rechtsprechung Neuland“ betrete, erwähnte das Gericht dann auch im Urteil nochmals deutlich.
IN anderen Ländern sind bestimmte Rechte der Natur keine Seltenheit mehr, so etwa in Ecuador oder auch in Spanien, wo das Parlament im Jahr 2022 beschlossen hatte, dass die stark belastete Salzwasserlagune Mar Menor eine Rechtspersönlichkeit mit eigenen Rechten werden solle.
tsp