Der Bundesgerichtshof befasste sich am heutigen Dienstag mit zwei weiteren Verfahren im VW-Abgasskandal. Trotz des verbraucherfreundlichen Grundsatzurteils von Ende Mai sind nämlich viele Rechtsfragen noch nicht geklärt. Hat der VW-Kunde einen Anspruch auf Deliktszinsen? Inwieweit können die Nutzungsvorteile des Kunden seinen Schadensersatzanspruch mindern? Die Richter ließen dazu bereits eine vorläufige Bewertung erkennen. Ein Urteil wurde aber noch nicht gesprochen.

Nachdem am 25. 5. 2020 der Bundesgerichtshof (BGH) das erste höchstrichterliche Urteil im Dieselabgasskandal fällte, befassten sich die Bundesrichter des VI. Zivilsenats heute mit den nächsten beiden Einzelklagen gegen den VW-Konzern. Ende Mai hatte der Bundesgerichtshof Schadensersatzansprüchen von Betroffenen gegen den VW-Konzern bereits Tür und Tor geöffnet. Selbst bei Gebrauchtwagen, die nicht von VW-Händlern erworben wurden, stellten die Richter eine „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“ durch den Autokonzern fest. Allerdings müssten sich die Betroffenen die Nutzung des Fahrzeugs bis zum Urteilsspruch anrechnen lassen. Einige Rechtsfragen rund um den Abgasskandal stehen nun aber noch aus und wollen beantwortet werden. Mit Spannung wurde daher auf den heutigen Verhandlungstermin in zwei VW-Verfahren geblickt (Az.: VI ZR 354/19; VI ZR 367/19).  Gegenstand der Verhandlung war zum Beispiel die Frage nach dem Umfang des Anspruchs auf Deliktszinsen. Nach § 849 BGB könnten Betroffene ab dem Zeitpunkt, in dem sie das manipulierte Fahrzeug bezahlt haben, pro Jahr 4 % Zinsen auf den aufgewendeten Kaufpreis verlangen. Die Richter ließen aber bereits die vorläufige Bewertung erkennen, dass sie Betroffenen einen Anspruch auf Deliktszinsen wahrscheinlich nicht zugestehen werden. Sie gaben zu bedenken, dass damit auf VW erhebliche Schadensersatzsummen zukommen würden.

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Schaden kann durch Nutzungsersatz vollständig aufgezehrt werden

In beiden Verfahren geht es wieder um den Motor der Baureihe EA 189, Schadstoffnorm Euro 5, der in den Fahrzeugen der Kläger verbaut war. Dessen Abgasabschalteinrichtung erkennt, ob ein Fahrzeug sich im Normal- oder Testbetrieb befindet. Im Testbetrieb wird ein stickstoffoptimierter Modus aktiviert, während es bei Normalbetrieb des Motors zu einem vermehrten Stickstoffausstoß kommt.

Der Kläger im Verfahren VI ZR 354/19 erwarb im Mai 2014 einen gebrauchten VW Passat 2,0 TDI von einem Dritthändler zum Preis von 23.750 Euro. Nachdem die Manipulationen durch den VW Konzern ans Licht kamen, ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt einen Rückruf des Fahrzeugs an. Daraufhin wurde ein Software-Update für das Fahrzeug entwickelt. Der Kläger lehnte es allerdings ab, dieses aufzuspielen, sodass ihm der weitere Betrieb des Fahrzeugs im Juni 2018 untersagt wurde. Nun möchte der Betroffene Schadensersatz für sein stillgelegtes Auto bekommen. Er verlangt Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen und ist im Gegenzug bereit, sein Auto zurückzugeben. Das Landgericht und das Oberlandesgericht Braunschweig haben diesen Schadensersatzanspruch in den Vorinstanzen jedoch abgelehnt. Zum einen verneinten sie eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB durch einen Mitarbeiter des VW-Konzern zulasten des Klägers. Zum anderen scheide ein deliktischer Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB aus, da der VW-Konzern mit seinen Manipulationen den Betrugstatbestand in § 263 StGB nicht erfülle. Zudem müsse der Kläger eine derart hohe Nutzungsentschädigung für die bereits gefahrenen Kilometer leisten, dass von seinem Schadensersatzanspruch für den aufgewendeten Kaufpreis nichts mehr übrig bleibe. Ein Problem, das viele Betroffene des Dieselskandals haben, die eine Klage in Erwägung ziehen. Durch die geschuldete Nutzungsentschädigung kann sich der Schadensersatzanspruch der VW-Kunden erheblich mindern. Spannend bleibt, wie der BGH mit diesem Problem umgehen wird. In der Verhandlung machten die Richter bereits deutlich, „dass ein vollständiges Aufzehren des Schadensersatzes durch Nutzungsvorteile nicht zu beanstanden sei“.

Software-Update ändert an Schaden nichts

Der Kläger im Verfahren VI ZR 367/19 kaufte im April 2013 einen gebrauchten VW Tiguan 2.0 TDL um Preis von 21.500 Euro. Nachdem im Jahr 2015 öffentlich über die Manipulationen informiert worden war und VW sein Fehlverhalten eingestanden hatte, ließ der Kläger im Februar 2017 ein Software-Update am Fahrzeug durchführen. Im Dezember 2017 erhob er Klage auf Schadensersatz für den gezahlten Kaufpreis nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Damit hatte er jedoch in den Vorinstanzen vor dem Landgericht und Oberlandesgericht Braunschweig keinen Erfolg. Der Kläger habe nicht genau dargelegt, wer im VW-Konzern den Betrugstatbestand verwirklicht bzw. vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hatte. Zudem hätte das Aufspielen des Software-Updates den Schaden beim Kläger behoben. In seiner Entscheidung vom 25. 5. 2020 hat der BGH bereits geklärt, dass VW eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Abgasskandal vorzuwerfen ist. Zudem stellten die Bundesrichter Ende Mai auch klar, dass ein Schaden auch beim Aufspielen eines Software-Updates gegeben sei. Vor diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass der BGH die vorinstanzlichen Urteile aufheben wird.

Weitere spannende VW-Verfahren in Sicht

Auch die heutigen VW-Verfahren haben entscheidende Auswirkungen auf die Rechte von VW-Kunden. Und die Serie an wichtigen VW-Verfahren reißt nicht ab. Am 28. Juli verhandelt der BGH einen Fall, in dem Kunde seinen Wagen kaufte, nachdem der Abgasskandal aufgeflogen war. Umstritten ist, ob der VW-Kunde auch dann einen Schadensersatzanspruch hat (VI ZR 397/19). Aktuell sind noch etwa 50.000 Einzelklagen von VW-Kunden anhängig. VW hat aber inzwischen angekündigt, auch diesen – wie im zurückliegenden Musterfeststellungsverfahren – Vergleichsangebote unterbreiten zu wollen. Die Kunden sollen einmalige Entschädigungszahlungen bekommen und können im Gegenzug ihre Autos behalten. Wie hoch die Zahlungen ausfallen werden, ist vom Einzelfall abhängig.

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