Bereits am 25. Dezember 2022 musste die EU-Verbandsklagerichtlinie (2020/1828) von den EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Über Verbandsklagen sollen Verbraucher ihre Rechte in Fällen wie dem VW-Abgasskandal besser durchsetzen können. Wie auch viele andere Mitgliedstaaten hat Deutschland die Umsetzungsfrist nicht einhalten können. Monatelang waren sich die Justiz- und Verbraucherschutzministerium uneinig gewesen. Nun haben die Berichterstatter der Koalitionsfraktionen endlich einen Kompromiss erzielt.
Am 24. Dezember 2020 trat die EU-Richtlinie 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG in Kraft. Im Wesentlichen sieht die Verbandsklagerichtlinie vor, dass qualifizierte Einrichtungen Klagen gegen Unternehmer erheben können, die gegen verbraucherschützende EU-Vorschriften verstoßen. Nach der Richtlinie sind die EU-Mitgliedsstaaten jeweils verpflichtet zwei Arten von Verbandsklagen vorzusehen. Zum einen soll Verbänden die Möglichkeit eröffnet werden, im eigenen Namen Unterlassungsklagen zu erheben. Hierdurch sollen Zuwiderhandlungen gegen Verbraucherrecht beendet werden können. Zum anderen sollen Verbände mit einer Abhilfeklage künftig direkt Ansprüche der Verbraucher gegenüber Unternehmen geltend machen können. Letzteres stellt ein neues Klageinstrument dar, welches im deutschen Recht bisher noch nicht existierte.
Ziel ist es unerlaubte Geschäftspraktiken, wie zum Beispiel im Abgas-Skandal, besser abwehren zu können und dadurch unionsweit den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher zu stärken. Opfer unlauterer Geschäftspraktiken sollen folglich eine kollektive Entschädigung erlangen können. Unlauter sind Geschäftspraktiken zum Beispiel im Falle irreführender Werbung von Automobilherstellern, die gegen EU-Rechtsvorschriften für die Typgenehmigung von Fahrzeugen oder Umweltauflagen verstoßen.
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Deutschland erzielt längst überfällige Einigung
Bis zum 25. Dezember 2022 musste die EU-Verbandsklagerichtlinie von den EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Aufgrund der nicht rechtzeitig erfolgten Umsetzung hat die Europäische Kommission am 27. Januar 2023 bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Am 25. Juni 2023 traten die neuen EU-Regelungen in Kraft. Ziel des deutschen Gesetzgebers war es die Richtlinie zumindest bis dahin umzusetzen. Allerdings hatte der Bundestag erst am 27. April 2023 erstmals über einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie in deutsches Recht beraten. Erst am 10. Mai 2023 erfolgte dann die Anhörung im Rechtsausschuss. Aus diesem Grund versäumte Deutschland auch die Frist zum 25. Juni 2023, zumindest knapp. Denn obwohl sich die Ampel lange über viele wesentliche Grundlagen nicht einigen konnte, wurde nun endlich eine Einigung erzielt. Damit ist der Weg jetzt frei für die Sammelklage – ein wirkungsvolles Instrument, welches es Verbrauchern ermöglichen soll bei Massenschäden unkompliziert Schadensersatz und andere Leistungen zu erhalten.
Anfang der Woche sah die Lage noch anders aus: Auf Nachfrage beim federführenden Rechtsausschuss des Bundestages hatte WBS.LEGAL exklusiv erfahren, dass noch keine genauen Informationen darüber vorlägen, wann eine Aufsetzung auf die Tagesordnung geplant sei und ob diese noch vor der parlamentarischen Sommerpause geschehe.
Geplante Umsetzung im Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz
Mit der Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff. ZPO) verfügt Deutschland zwar bereits über ein Verbandsklageregime zur kollektiven Geltendmachung von Verbraucherrechten. Im Vergleich zur EU-Verbandsklage sind der Anwendungsbereich und die rechtlichen Auswirkungen der Musterfeststellungsklage jedoch deutlich enger. So ist die EU-Verbandsklage beispielsweise nicht auf eine Feststellungsklage beschränkt, sondern es könnten unter anderem auch Ansprüche auf Schadensersatz, Reparatur, Vertragskündigung Preisminderung oder Rückerstattung des gezahlten Preises geltend gemacht werden.
Kernstück des neuen Gesetzentwurfes zur Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie ist das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG). Dieses soll nun die bisher in der Zivilprozessordnung (ZPO) enthaltenen Regelungen über die Musterfeststellungsklage mit den Regelungen zur Einführung der neuartigen Abhilfeklage bündeln und es Verbrauchern ermöglichen mithilfe bestimmter qualifizierter inländischer Verbraucherverbände ihre Ansprüche einzuklagen. In der Anhörung im Rechtsausschuss war der Gesetzentwurf von den meisten der zehn eingeladenen Sachverständigen bereits begrüßt worden. Nur in einigen Detailfragen wurde Nachbesserungsbedarf gesehen. Viele Punkte wurden nun optimiert. Insbesondere die Drittfinanzierung wurde zu einem nachhaltigen Instrument mit mehr Transparenz für Verbraucher verbessert.
Voraussetzung für die Klage eines Verbraucherverbandes ist die Betroffenheit der Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern, die sich zuvor in einem Verbandsklageregister angemeldet haben müssen. Auch kleine Unternehmen werden im Gesetzentwurf Verbrauchern gleichgestellt, sodass auch diese sich beim Verbandsklageregister mit ihren Ansprüchen zu einer anhängigen Verbandsklage anmelden können. Kleine Unternehmen sind laut dem Gesetzentwurf solche, die weniger als 50 Personen beschäftigen und einen Jahresumsatz oder eine Jahresbilanz von zehn Millionen Euro nicht überschreiten. Ob Verbraucher sich bei einer Verbandsklage beteiligen, sollen diese noch bis zu drei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung entscheiden dürfen. Die Verjährung soll allerdings nur für diejenigen Verbraucher gehemmt werden, die sich an der Verbandsklage beteiligt haben und nicht für alle, die betroffen sind. Damit sollen Verbraucher dazu animiert werden selbst die Initiative zu ergreifen.
Vergleich mit der US-Verbandsklage
Die EU-Verbandsklage unterscheidet sich deutlich von den US-amerikanischen Sammelklagen (Class Action). Verbandsklagen können nämlich nicht von Anwaltskanzleien angestrengt werden. Dies sei nur möglich durch Einrichtungen wie Verbraucherorganisationen, die von einer Behörde überwacht werden, keinen Erwerbszweck verfolgen und strenge Zulassungskriterien erfüllen müssen. So sind zum Beispiel nur solche Verbände abhilfeklageberechtigt, die als qualifizierte Verbraucherverbände beim Bundesamt für Justiz registriert sind.
Fazit
Nach der nun erfolgten Einigung der Berichterstatter der Koalitionsfraktionen über die Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie bleibt nur noch auf eine schnelle Verabschiedung in Bundestag und Bundesrat zu hoffen, am besten noch vor der Sommerpause. Im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien (DIP) ist das Gesetzgebungsverfahren jedenfalls immer noch als „besonders eilbedürftig“ vermerk
ezo