Nicht für jeden ,,Blog‘‘ gelten zwingend dieselben presserechtlichen Grundsätze wie für Journalisten. Das entschied das LG Schweinfurt im Verfahren einer Compliance-Beauftragten gegen den medienrechtlich Verantwortlichen der Internetseite ,,buergerplattform-schweinfurt.de‘‘.

Das Landgericht (LG) Schweinfurt hat die Klage einer Amtsleiterin einer Stadt, die unter anderem auch die Funktion einer Compliance-Beauftragten innehatte, gegen den medienrechtlich Verantwortlichen der „Schweinfurter Bürgerplattform“ als unbegründet zurückgewiesen. Die Webseite, für die der Beklagte verantwortlich war, zähle weder zu den Telemedien noch unterfalle sie dem formellen Pressebegriff. Die strengen presserechtlichen Grundsätze seien somit nicht anwendbar (Urt. v. 26.07.2023, Az. 11 O 458/22).

Zuvor hatten die Parteien im Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem LG Schweinfurt am 29.06.2022 (Az. 11 O 377/22 eV) einen Vergleich geschlossen. Dieser hatte jedoch nicht die Wirkung einer Abschlusserklärung, so dass eine Klageänderung erhoben werden konnte.

Die Klägerin war eine ehemalige Compliance-Beauftragte. Sie wandte sich gegen einen Eintrag auf der Internetseite ,,buergerplattform-schweinfurt.de‘‘.  Der Eintrag auf der Internetseite bezog sich auf die Machenschaften eines ehemaligen Theaterleiters der Stadt Schweinfurt. In dem Fall habe die Stadtverwaltung der Stadt Schweinfurt monatelang abgewartet und zwischenzeitlich noch Prämien an den ehemaligen Amtsleiter ausgezahlt. Gegen den Theaterleiter erließ das Amtsgericht (AG) Schweinfurt mittlerweile einen Strafbefehl über zehn Monate Haft auf Bewährung sowie eine Geldstrafe in vierstelliger Höhe wegen Untreue. In dem Eintrag mit dem Titel ,,Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt‘‘ ging es auch um die Compliance-Beauftragte: Unter anderem wurde über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen sie wegen versuchter Strafvereitelung berichtet. Gegen diese Verdachtsberichterstattung nahm die Compliance-Beauftragte nun den medienrechtlich Verantwortlichen der Website auf Unterlassung in Anspruch. Vor der Veröffentlichung des Beitrags sei sie nämlich nicht angehört worden. Die Frage, ob eine Anhörung in einem solchen Fall überhaupt erforderlich sei, stand im Mittelpunkt des Rechtsstreits.

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Die presserechtliche Rechtsprechung des BGH

Das LG Schweinfurt berief sich bei der rechtlichen Beurteilung auf die presserechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 16.11.2021, Az. VI ZR 1241/20). Dieser stellte folgenden Grundsatz auf: Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt nicht feststehe und die eine wesentlich die Öffentlichkeit berührende Frage betreffe, dürfe nicht untersagt werden, sofern derjenige, der sie äußere oder verbreite, sie für die Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten dürfe.

Damit die Tatsachenbehauptung als zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich angesehen werden könne, müssten vier Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens müsse der Wahrheitsgehalt der Behauptung hinreichend recherchiert sein. Zweitens müsse ein Mindestbestand an Beweistatsachen für den Wahrheitsgehalt der Behauptung vorliegen. Drittens dürfe die Darstellung keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten und schließlich müsse vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen eingeholt werden.

Im vorliegenden Fall enthalte der Eintrag im Hinblick auf die Compliance-Beauftragte ausschließlich Tatsachenbehauptungen, die sämtlich zutreffend seien. Denn die Berichterstattung beziehe sich lediglich auf die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft über die Wiederaufnahme von Ermittlungen. Darüber hinaus enthalte der Beitrag auch keine Vorverurteilung der Compliance-Beauftragten und es werde ausdrücklich auf die Unschuldsvermutung hingewiesen.

Nicht jeder Blog ist Presse

Einziger Ansatzpunkt für eine Untersagung der Berichterstattung sei daher die nicht eingeholte Stellungnahme der Compliance-Beauftragte vor Veröffentlichung des Beitrags gewesen. Das Erfordernis der Einholung einer Stellungnahme gelte jedoch nicht für den medienrechtlich Verantwortlichen der Bürgerplattform. Denn die strengen presserechtlichen Anforderungen des BGH würden nur für die Presse bzw. die Medien gelten. Die Webseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, zähle aber weder zu den Telemedien noch unterfalle sie dem formellen Pressebegriff.

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Die Telemedien zeichneten sich nach Einschätzung des Gerichts durch einen hohen Professionalisierungsgrad der Arbeitsweise und ein hohes Maß an Aktualität aus. Angesichts der geringen Häufigkeit der Einträge und der Tatsache, dass nicht unbedingt nachvollziehbar erscheine, welche Umstände berichtenswert seien und welche nicht, fehle es aus Sicht eines Lesers an dem für die Einstufung als Telemedium erforderlichen Grad an organisierter Verfestigung.

Die Website könne außerdem nicht dem formellen Pressebegriff zugeordnet werden, da sie überwiegend Informationen zur Durchsetzung kommunalpolitischer Ziele zur Verfügung stelle. Zudem sei auch der Schutz der Ausübung politischer Mitwirkungsrechte durch Herstellung von Öffentlichkeit in die Beurteilung einzubeziehen. Außerdem unterliege nicht jeder Blog zwingend den presserechtlichen Grundsätzen, vielmehr sei stets eine Beurteilung im Einzelfall vorzunehmen. Die mit dem formellen Pressebegriff verbundenen strengeren Anforderungen des BGH könnten hier daher keine Anwendung finden.

Politische Auffassungen der Bürgerplattform standen im Vordergrund

Schließlich sei die Compliance-Beauftragte auch nicht in gleicher Weise betroffen wie bei einer Presseberichterstattung. Denn bei einer Presseberichterstattung würden die Leser in deutlich höherem Maße Recherchen und Abwägungen erwarten als bei einer Bürgerinitiative. Da im maßgeblichen Beurteilungszeitraum im Juni 2022 die Vermittlung der eigenen Tätigkeit bzw. der politischen Auffassungen der Bürgerplattform eindeutig im Vordergrund gestanden habe, ergebe sich keine Einordnung als Presse bzw. Medium im Sinne der Rechtsprechung des BGH. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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