Wer geblitzt wurde, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Um seine Unschuld zu beweisen, sind dringend weitere Blitzer-Messdaten erforderlich. Doch diese werden oftmals von den Anlagen nicht erfasst, was eine Verteidigung schwierig macht. Ob ein Bußgeldbescheid nur anhand eines Blitzerfotos ergehen darf, muss nun der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes beurteilen. Rechtsanwalt Christian Solmecke erläutert das Verfahren:
„Als Rechtsanwalt höre ich immer wieder von meinen Mandanten die Aussage, dass ihnen die Geschwindigkeit auf dem Bußgeldbescheid viel zu hoch vorkomme.
Ein bekanntes Beispiel: Ein 78-jähriger Rentner, der mit seiner Frau auf der rechten Spur der Bundestraße 448 Richtung Offenbach unterwegs war wurde geblitzt. Mit 151 Km/h soll er unterwegs gewesen sein und somit stolze 71 km/h schneller, als es die dort vorgeschriebenen 80 km/h erlauben. Die Konsequenz: Ein Bußgeld in Höhe von rund 600 Euro und drei Monate Fahrverbot. Ein von ihm kostspielig in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigte seine Vermutung: Nicht er hatte den Blitzer ausgelöst, sondern ein an ihm vorbeigeschossenes anderes Fahrzeug. Seine Unschuld kann nur anhand der weiteren vom Blitzer gespeicherten Daten bewiesen werden.
Blitzer-Bußgeldbescheide rechtswidrig?
- Mehr erfahren: Einspruch gegen Bußgeldbescheide
Um die Problematik nachvollziehen zu können, muss man wissen, dass es beim „Blitzen“ im Wesentlichen zwei verschiedene Verfahren gibt. Bei einem wird lediglich das Foto inklusive der vermeintlich gemessenen Geschwindigkeit gespeichert, beim anderen Verfahren werden zudem noch die sogenannten „Messrohdaten“ gespeichert, die eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Funktionsweise des Messverfahrens erlauben.
Und genau hier liegt oftmals das Problem, denn zahlreiche Blitzer speichern die wichtigen Daten nicht und geben im Ergebnis oft nur das Foto und das Messergebnis aus; zum Leidwesen unschuldig Betroffener. Eine Überprüfung ist damit – auch für uns Juristen – nicht möglich. Meine Auffassung ist hier seit langem eindeutig: Geblitzte Autofahrer müssen Messergebnisse überprüfen können. Betroffene müssen diese Messrohdaten auf Verlangen erhalten!
Und dies könnte künftig endlich auch so kommen, denn am heutigen Donnerstag verhandelt der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes (VGH Saar) darüber, ob Bußgeldbescheide einzig auf Blitzerfotos gestützt werden können, ohne dass die Geschwindigkeitsüberschreitung durch weitere Messdaten belegt wird (VGH Saar, Az. LV 7/17).
Der vor dem VGH Saar klagende Autofahrer war wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 27 km/h innerorts zu einem Bußgeld von 100 Euro verurteilt worden. Geblitzt worden war er von einem stationären Blitzer vom eher selten eingesetzten Typ „Traffistar S 350“ der Firma Jenoptik. Das Gerät speichert als Messdaten den Anfangs- und Endzeitpunkt der Messung, nicht aber den Anfangs- und Endort des betroffenen Fahrzeugs.
Sollte der VGH Saar zu dem Ergebnis kommen, dass ein Blitzerfoto allein nicht ausreicht, dann wäre ein ergangener Bußgeldbescheid, zu dem es keine Messdaten gibt, vor Gericht nicht mehr haltbar. Dies hätte dann eine weitere Konsequenz zur Folge: Künftig könnten dann auch keine Blitzer-Anlagen mehr verwendet werden, die diese Daten nicht speichern. Und dies wäre ein enormer Erfolg für alle zu Unrecht Geblitzten!
Bislang Beweisschwierigkeiten im Prozess
Im aktuellen Fall argumentieren die Kläger, dass es ihrer Ansicht nach bei bloßen Fotos ohne hinterlegte Messrohdaten erhebliche Beweisschwierigkeiten in Gerichtsverfahren gäbe. In verkehrsrechtlichen Fällen seien die Messungen seit jeher einer der häufigsten Streitpunkte, denn mit ihnen stehe und falle der im Raum stehende Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Dieser Ansicht kann ich mich nur anschließen.
Die Gegenseite verweist jedoch darauf, dass die vereinfachten Messverfahren standardisiert und deshalb zuverlässig seien. Mehrere Gerichte folgten in der Vergangenheit bereits dieser Rechtsauffassung (OLG Bamberg, Az. 3Ss OWi 626/18; OVG Niedersachsen, 14 PS 4/19). Doch insbesondere die Beweisschwierigkeiten, die sich bei dem vereinfachten Verfahren ergeben, habe ich häufiger bereits kritisiert, denn wenn bereits die durch das Foto belegte Behauptung eines Geschwindigkeitsverstoßes ausreicht, um ein Bußgeld zu rechtfertigen, ist eine effektive Verteidigung dagegen kaum möglich.
Dabei haben Gutachter bereits mehrfach nachgewiesen, dass selbst geeichte Blitzgeräte die Geschwindigkeit fehlerhaft gemessen haben. Dafür reicht es mitunter bereits aus, dass bestimmte LED-Scheinwerfer verwendet werden, die das Messergebnis verfälschen.
Für die betroffenen Autofahrer können solche Fehler gravierende Folgen haben: Es drohen hohe Bußgelder, Punkte in Flensburg oder gar Fahrverbote. Vor allem für Berufskraftfahrer können solche Fehlmessungen existenzbedrohend sein und somit einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit aus Artikel 12 Grundgesetz (GG) darstellen.
Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Betroffene und wir Anwälte als deren Rechtsbeistand überprüfen können, ob korrekt gemessen wurde.
Früheres Urteil verpflichtet Behörden zur Herausgabe von Messrohdaten
Doch selbst wenn die Rohdaten erfasst werden, sind die Behörden oftmals nicht bereit, diese herauszugeben. Auch damit hat sich der VGH Saar bereits im letzten Jahr befasst und geurteilt, dass gespeicherte Rohdaten auf Antrag herauszugeben seien, denn andernfalls seien der Grundsatz des fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs verletzt (VGH Saar, 27.04.2018, Az. 1/18). Demnach müssen Betroffene nach dem Grundsatz der „Waffengleichheit“ Zugang zu allen Informationen erhalten, die auch der Behörde zur Verfügung stehen, da ansonsten eine effektive Verteidigung nicht möglich ist. Darunter fallen eben auch die gespeicherten Rohdaten.
Wie der VGH Saar im aktuellen Fall entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Am 09.05.2019 wurde zunächst mündlich verhandelt: Drei Sachverständige wurden angehört. Eine Entscheidung wird Ende Juni in schriftlicher Form erwartet. Ein Urteil des VGH Saar ist zwar zunächst nur für das Saarland verbindlich, für Gerichte in anderen Bundesländern könnte die Entscheidung aber eine Indizwirkung für gleichgelagerte Fälle haben.“