Am 28. Februar 2024 lud SpiegelTV auf YouTube eine Reportage mit dem Titel „Kein Pardon für Parksünder: Der »Anzeigenhauptmeister« zeigt sie alle an“ hoch. Star des Videos: Niclas M., oder wie er sich nennt: Der Anzeigenhauptmeister. Innerhalb kürzester Zeit erlangte der 18-jährige deutschlandweit Bekanntheit dafür, dass er in seiner Freizeit mittels einer App Falschparker anzeigt. Aber ist sein Treiben legal? Und könnte sein Verhalten unter Umständen sogar eine Amtsanmaßung darstellen?
Niemand ist vor ihm sicher, nicht einmal sein Nachbar: Der Anzeigenhauptmeister bringt hobbymäßig potentielle Falschparker per App zur Anzeige, indem er ein Foto anfertigt und alle notwendigen Informationen ausfüllt. Die Anzeige landet dann bei der örtlichen Behörde, die dem Parkverstoß daraufhin nachgehen kann. Niclas M. sagt, dass er mit seinem Hobby für Recht und Ordnung sorgen wolle – allerdings verfolgt er sein Ziel zum Leid vieler seiner Mitbürger.
Nach dem Upload der Reportage stellten sich den Zuschauern viele Fragen, eine drängte sich aber in den Vordergrund: Ist sein Verhalten in dieser Form überhaupt erlaubt?
Dürfen Privatpersonen Parksünden melden?
Tatsächlich muss nicht etwa die Polizei oder das Ordnungsamt angerufen werden, wenn man als Zivilperson einen Falschparker zur Anzeige bringen will. Falschparker dürfen ohne die Anwesenheit von Behörden von jeder Privatperson angezeigt werden. Wenn jemand wie der Anzeigenhauptmeister über eine App Falschparker aufnimmt, erstellt nämlich nicht die Privatperson selbst einen Bußgeldbescheid, sondern der Ersteller der Anzeige nimmt lediglich die Beweise auf. Dann wird der Antrag an das zuständige Ordnungsamt gesendet, das überprüft, ob es der Sache nachgehen und ein Bußgeld verhängen will. Der 18-jährige „verpetzt“ die Verstöße also, wenn man so will. Auch muss er nicht selbst von den Falschparkern betroffen sein, um eine Anzeige zu erstellen. Schließlich dürften Privatpersonen auch beispielsweise einen Diebstahl oder andere Gesetzesverstöße als Zeuge zur Anzeige bringen. Grundsätzlich dürfen Falschparker also angezeigt werden.
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Die Nummernschilder und der Datenschutz
Wie sieht es dabei aber mit dem Datenschutz aus? Bei der Aufnahme von Parksündern spielt nämlich das Datenschutzrecht eine Rolle, wenn Menschen wie der Anzeigenhauptmeister z.B. Nummernschilder fotografieren, um die Falschparker an die Behörde zu melden.
Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach hat hierzu im Jahr 2022 einen Fall entschieden (Urt. v. 2.11.2022, Az. AN 14 K 22.00468; AN 14 K 21.01431). Vor Gericht stellte sich die Frage, ob Privatleute überhaupt Fotos der Kennzeichen von Falschparkern machen und an das Ordnungsamt schicken dürfen oder ob so gegen Datenschutzrecht verstoßen werden könnte. Schließlich stellen auch Kfz-Kennzeichen personenbezogene Daten im Sinne der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dar.wbs-law.tv
Für die Verarbeitung solcher Daten bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Die Richter in Ansbach sind der Ansicht, dass eine solche Grundlage gegeben sei, wenn der Anzeigende mit seinem Hinweis auf eine begangene Ordnungswidrigkeit ein sogenanntes „berechtigtes Interesse“ habe (Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO). In dem Fall vor dem VG Ansbach überwog das berechtigte Interesse der Anzeigenden denen Interessen des Fahrzeughalters. Entscheidend ist, dass bei der Anzeige lediglich übermittelt wird, was auch im Rahmen der Beweisaufnahme notwendig ist. Kennzeichen fremder Autos sowie auch unbeteiligte Personen dürfen auf Beweisfotos nicht zu sehen sein.
Das VG Ansbach beschäftigte sich allerdings mit Fällen, in denen nur sechs beziehungsweise 17 Anzeigen angefertigt wurden. Wie es bei deutlich größeren Anzeigewellen aussehen kann, lässt das Gericht offen. Das Urteil des VG Ansbach stellt also noch keinen Freifahrtschein für den Anzeigenhauptmeister dar. Es ist durchaus denkbar, dass kein berechtigtes Interesse mehr vorliegt, wenn es jemandem bei seinen Anzeigen beispielsweise um seine eigene Erfolgsquote geht. Allerdings müsste die Intention erst einmal nachgewiesen werden. Für den Moment kann der Anzeigenhauptmeister sein Hobby also auch im Hinblick auf diese Vorschriften weiterführen.
Das Problem mit der Amtsanmaßung
In der SpiegelTV-Reportage wirft ein Falschparker Niclas M. vor, er begehe mit seinem Auftritt eine Amtsanmaßung. Der Vorwurf rührt neben seinem Auftritt unter anderem daher, dass der Anzeigenhauptmeister bis vor einigen Wochen noch ein Schild mit der Aufschrift „Polizfi“ gut lesbar an seinem Fahrrad angebracht hatte und so auf seine Touren ging.
§ 132 Strafgesetzbuch (StGB) schreibt dazu:
„Wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befaßt oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Eine Amtsanmaßung ist also durchaus kein Kavaliersdelikt. Hier ist jedoch fraglich, ob eine solche wirklich vorliegt.
Wenn der Anzeigenhauptmeister aktiv den Eindruck erwecken würde, dass er ein Polizist sei und so Falschparker möglicherweise einschüchtert, könnte das unter Umständen eine Amtsanmaßung darstellen. Allerdings legt Niclas M. stets offen, dass er als Privatperson und nicht als Amtsträger auftritt. Darüber hinaus nimmt er keine hoheitlichen Handlungen vor. Schließlich geht er nicht auf die Falschparker zu und fordert von ihnen, dass sie das Bußgeld an den Anzeigenhauptmeister selbst zahlen. Der Anzeigenhauptmeister fertigt lediglich Fotos von Falschparkern an und sendet sie an das Ordnungsamt. Damit liegt in seinem Handeln auch keine Amtsanmaßung vor.
Großteil der Anzeigen unbrauchbar
Aber wie sieht es mit der Erfolgsquote des Hobby-Ordnungshüters aus? In der SpiegelTV-Reportage gibt Niclas M. an, über 4.000 Anzeigen pro Jahr zu schreiben. Eine beachtliche Summe – doch wie effektiv ist seine Arbeit wirklich?
Diese Frage beantwortete der Bürgermeister der Heimatstadt des Anzeigenhauptmeisters. In Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) geht Niclas M. immer wieder auf Falschparker-Jagd. Daher kommen auch mehrere Anzeigen in der 11.000-Einwohner-Gemeinde zustande. Der Bürgermeister Gräfenhainichens veröffentlichte eine Statistik, aus der hervorgeht, dass im Jahre 2023 tatsächlich 889 private Anzeigen geschrieben wurden (wobei nicht klar ist, ob auch wirklich alle davon von Niclas M. stammen, aber vieles deutet darauf hin, dass die meisten von ihm sind). Von diesen 889 Anzeigen führten jedoch nur 22 dazu, dass wirklich ein Verfahren eröffnet wurde. 357 Euro wurden also maximal durch Mattheis Anzeigen an Bußgeldern in Gräfenhainichen erwirtschaftet.
Der Anzeigenhauptmeister selbst prahlte in der Reportage noch damit, dass er wohl um die 140.000 Euro für die Gemeinden Deutschlands durch seine Anzeigen eingetrieben habe. Diese Summe dürfte (zumindest unter Berücksichtigung der Statistik seiner Heimatstadt) wohl vorne und hinten nicht stimmen. Daher lässt sich also durchaus das Fazit festhalten, dass der Anzeigenhauptmeister aufgrund der Unbrauchbarkeit vieler seiner Anzeigen mehr Aufwand verursacht als dass er den Behörden wirklich hilft.
Attacken gegen den Anzeigenhauptmeister
Seit der Anzeigenhauptmeister deutschlandweit bekannt ist, bekam er leider auch schon die Schattenseiten seines Ruhms zu spüren. Verschiedene Medien berichteten über einen Vorfall, der sich Anfang März ereignete und den der Anzeigenhauptmeister selbst bestätigte. Niclas M. wurde in der S-Bahn von einem Mann attackiert. Dem 18-jährigen wurde sein Smartphone aus der Hand gerissen und er musste aufgrund von Verletzungen, die er bei der Aktion erlitt, im Krankenhaus behandelt werden. Jeder kann von der Arbeit des Anzeigenhauptmeisters halten, was er will. Gewalttaten sind aber aufs Schärfste zu verurteilen. Es bleibt zu hoffen, dass Niclas M. von weiteren Taten dieser Art verschont bleibt.
In einem weiteren Vorfall, der sich Anfang April ereignete, kam es im Allgäu zur Diskussion zwischen dem Anzeigenhauptmeister und einer Frau. Als die Dame Niclas M. sein Smartphone entreißen möchte, stürzt der Anzeigenhauptmeister, woraufhin der Rettungsdienst benachrichtigt wurde. Niclas M. wurde im Krankenhaus behandelt und erlitt durch den Sturz eine Prellung.
Der Vorfall löste eine große Kontroverse aus. Denn der Sturz wurde von Passanten auf Video festgehalten. Unter den entsprechenden Videos finden sich im Internet viele Kommentare von Menschen, die der Meinung sind, der Anzeigenhauptmeister habe sich absichtlich fallen lassen, um eine Anzeige zu provozieren.
Der Fall wurde tatsächlich zur Anzeige gegen die Frau gebracht. Daraufhin hat die Dame einen Spendenaufruf gestartet hat, der ihr dabei helfen soll, ihre Anwaltskosten zu finanzieren. Bei diesem Aufruf hat sie über 10.000 Euro an Spenden gesammelt.
Interessant ist: In einem Instagram-Video, das am 27. März von einem privaten Nutzer veröffentlicht wurde, spricht Niclas M. davon, wie er angeblich mit Schmerzensgeld Geld verdient. Dazu sagt er: „Das ist eine Geschäftsmasche. Man muss nur wissen, wie man es anstellt.“
Wer sich absichtlich hat fallen lässt und dann die Tat dennoch als Körperverletzung anzeigt, kann sich allerdings selbst strafbar machen. Zu denken ist zum einen Falsche Verdächtigung (§ 164 StGB), Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB) sowie – sollte man zusätzlich einen Schadensersatzprozess anstrengen – an (versuchten) Betrug, § 263 StGB. Allerdings ist uns nicht bekannt, dass entsprechende Ermittlungen gegen den Anzeigenhauptmeister laufen würden.
Ob sich der Anzeigenhauptmeister letztlich wirklich hat absichtlich fallen lassen oder ob sich die Frau für den Vorfall wegen Körperverletzung strafbar gemacht hat, muss nun die zuständige Strafkammer entscheiden.
Das große Ziel des Anzeigenhauptmeisters
Der Anzeigenhauptmeister macht weiter unbeirrt sein Ding. Sein großes Ziel: In jeder Gemeinde Deutschlands einen Falschparker angezeigt zu haben. Und so ist er jedes Wochenende immer wieder in einer anderen deutschen Stadt anzutreffen. Dabei lässt er sich auch nicht von all dem Gegenwind aufhalten, den er täglich erfährt. Auf Instagram schreibt er: „Egal was kommt, ich werde NIEMALS aufhören und mich durch nichts und niemanden aufhalten lassen.“ Falschparker werden sich also weiterhin vor dem Anzeigenhauptmeister fürchten müssen.
agr