Wer bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter erwischt wird, dem droht der Entzug der Fahrerlaubnis. Schaut man sich die einschlägigen Gesetze und die Beschaffenheit von E-Scootern aber einmal genau an, so erscheint der Entzug der Fahrerlaubnis sinnlos und unverhältnismäßig. Eine Folge davon grenzt sogar fast schon an Lächerlichkeit. Ein Kommentar.
Die Kernfrage ist: Gelten für E-Scooter-Fahrer dieselben Grenzwerte fürs Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss wie beim Fahren von Autos? Manche Oberlandesgerichte sagen: Ja. Und schließen daraus direkt die Konsequenz, dass deshalb bei deren Überschreitung auch in der Regel direkt die Fahrerlaubnis zu entziehen sei. Das ist meiner Meinung nach völlig unverhältnismäßig und entspricht nicht dem Sinn des Gesetzes.
Zunächst zur Ausgangslage: Für Autofahrer gelten folgende Grenzwerte: Absolut fahruntüchtig ist man bei Alkohol ab einem Wert von 1,1 Promille. Sitzt man hingegen betrunken auf einem Fahrrad, gilt hier ein Grenzwert von 1,6 Promille. Wer hingegen mit einem Wert von 0,3 – 1,1 Promille auf einem der Verkehrsmittel erwischt wird und dabei Ausfallerscheinungen zeigt, der ist „relativ fahruntüchtig“. Beim Fahren unter dem Einfluss von Cannabis ist man bereits ab 1 Nanogramm/ml THC im Blut relativ fahruntüchtig, sofern man zusätzlich Ausfallerscheinungen zeigt. Die Konsequenz ist stets dieselbe: Eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Strafgesetzbuch (StGB). Und wer sich deswegen strafbar macht, dem soll nach § 69 Abs. 2 StGB „in der Regel“ auch die Fahrerlaubnis entzogen werden. Also Führerschein weg statt nur eines Fahrverbots für ein paar Monate.
Jetzt stellt sich aber 3 Fragen:
- Wann sind E-Scooter wirklich „Kraftfahrzeuge“, sodass im Rahmen von § 316 StGB die Promillegrenzen für Autofahrer und nicht die für Radfahrer gelten?
- Sollte dann die Regelvermutung des § 69 StGB überhaupt greifen – oder sollte man für die Elektroroller nicht andere Maßstäbe ansetzen?
- Wie sinnvoll ist der Entzug der Fahrerlaubnis bei Trunkenheitsfahrten mit dem E-Scooter?
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Sind E-Scooter „Kraftfahrzeuge“ oder ähneln sie eher Fahrrädern?
Am 13. April 2023 hat der Bundesgerichtshof (BGH) hierzu folgendes entschieden (Az. 4 StR 439/22): E-Scooter gelten zumindest dann als Kraftfahrzeuge mit der Folge, dass die strenge Promillegrenze für Autofahrer anwendbar ist, wenn sie schneller als 20 km/h (im konkreten Fall bis zu 25 km/h) fahren können. Dann nämlich sind sie keine „Elektrokleinstfahrzeuge“ mehr. Dabei handelt es sich um Fahrzeuge, die nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h fahren können. Was für diese – im Übrigen neue – Kategorie gilt, hat der BGH aber ausdrücklich offengelassen. Hier könnte es also durchaus sein, dass der BGH noch entscheidet, dass hier nur die Grenzwerte für Fahrräder anwendbar sind. Absolute Fahruntüchtigkeit – und damit auch die Strafbarkeit – gibt es dann nur ab 1,6 Promille.
Die Oberlandesgerichte tendieren bei Elektrokleinstfahrzeugen allerdings dazu, bei E-Scootern gleich welcher maximalen Geschwindigkeit die Grenzwerte wie bei „klassischen“ Fahrzeugen anzuwenden und hier sofort die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das steht aber nicht ohne Weiteres im Einklang mit der vorherigen BGH-Rechtsprechung: Der BGH hat in seinem Beschluss vom 2. März 2021 (4 StR 366/20) deutlich gemacht, dass die Anwendung der Grenzwerte, welche für Kraftfahrzeuge, respektive Autos und Motorräder gelten, nicht ohne weiteres auf alle E- Scooter angewandt werden können. Darin heißt es u.a.:
Ob und inwieweit die vor dem Aufkommen der Elektrokleinstfahrzeuge ergangene Rechtsprechung zu dem Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von Kraftfahrern auch auf Nutzer dieser neuen Fahrzeugklasse übertragen werden kann (…), ist höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Mangels näherer Feststellungen sowohl zu der Fahrzeugklasse des vom Angeklagten genutzten Elektrorollers als auch zu dessen technischen Merkmalen im Einzelnen vermag der Senat die Rechtsfrage im vorliegenden Fall nicht abschließend zu beantworten.“
Daraus geht u.a. folgendes hervor: Scheinbar hängen die Grenzwerte tatsächlich von der Fahrzeugklasse ab. Und die Grenzwerte für Kraftfahrzeuge können nicht auf alle E-Scooter angewendet werden. Wäre die Rechtslage so eindeutig, dass sogenannte E- Scooter immer als Kraftfahrzeug einem Auto gleichstehen und dementsprechend dieselben Grenzwerte gelten würden, so hätte der BGH dies in seinem Beschluss klargestellt. Ebendies hat der Senat aber nicht getan.
Diese Bewertung ergibt sich insbesondere auch aus einer Auslegung der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV). Insbesondere wird in der Gesetzesbegründung der E-Scooter ausschließlich im Vergleich zum Fahrrad gesetzt. Insoweit ist hier unserer Auffassung nach die Rechtsprechung des BGH zu den Grenzwerten für Fahrradfahrer anzuwenden.
Die Frage der Indizwertung
Eine weitere Frage ist, ob bei Trunkenheitsfahrt auf dem E-Scooter gleich welcher Kategorie überhaupt regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass jemand ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Schließlich wurde noch nicht höchstrichterlich entschieden, ob in den Fällen in denen (Kleinst-)Kraftfahrzeuge/E-Scooter unter Drogen- oder Alkoholeinfluss in Betrieb genommen werden, ohne Weiteres die Indizwirkung für eine regelmäßige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 StGB gilt.
Auch hier hat sich eine strenge Rechtsprechung entwickelt: die Oberlandesgerichte entziehen fast immer die Fahrerlaubnis, weil sie der Ansicht sind, dass sich die (Kleinst-)Fahrzeugführer zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erwiesen haben. Diese Rechtsprechung könnte und sollte m.E. vom BGH gekippt werden.
Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt, so entzieht ihm das Gericht nach § 69 Abs. 1 StGB die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Abs. 2 normiert, dass, wenn die rechtswidrige Tat u.a. eine Trunkenheitsfahrt im Verkehr nach § 316 StGB ist, der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist.
Zwar müssen Gerichte bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter § 69 StGB durchaus beachten. Allerdings wird ein Gericht auch hier – wie bei anderen Strafnormen, bei denen der Begriff des „Kraftfahrzeugs“ zum Tatbestand gehört – sehr genau prüfen müssen, ob diese Norm auch im Falle des E-Scooters anzuwenden ist. Ein Beispiel: Nach § 315 d Abs.1 Nr.1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer ein „nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder durchführt“ oder als Kraftfahrzeugführer daran teilnimmt. Dass diese Norm das Rennen zwischen E-Scooter-Fahrern erfassen soll, das mit einer maximalen Geschwindigkeit von 20 km/h ausgetragen werden würde, darf bezweifelt werden. Sprich: Nur, weil in § 69 StGB „Kraftfahrzeug“ steht, muss nicht jedes Kraftfahrzeug erfasst werden. Differenzierungen nach Sinn und Zweck des Gesetzes sind nicht nur zulässig, sondern notwendig.
So sollte die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB bei der Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter nicht gelten. Die bei der Verwirklichung des Tatbestands sollte bereits grundsätzlich aufgrund des Ausnahmecharakters der Tat oder jedenfalls aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall regelmäßig widerlegt sein.
Richtigerweise vertreten immer mehr Gerichte die Ansicht, dass bei Trunkenheitsfahrten mit einem E-Scooter nicht ohne Weiteres von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ausgegangen werden kann. Vielmehr sei bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter zu prüfen, ob daraus auf eine Verantwortungslosigkeit der Beschuldigten geschlossen werden kann, die mit einer Trunkenheitsfahrt mit „klassischen“ Kraftfahrzeugen vergleichbar ist und somit von seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden muss (Landgericht Halle, Beschl. v. 16.07.2020, Az. 3 Qs 81/20). Damit übereinstimmend hat das Landgericht Dortmund festgestellt, dass der E-Scooter hinsichtlich seiner Gefährlichkeit und seines Gewichts eher mit einem Fahrrad als mit einem einspurigen Kraftfahrzeug gleichzusetzen ist. Viele weitere Amts- und Landgerichte sehen das ebenfalls so.
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Ähneln E-Scooter wirklich Autos?
Das ergibt sich u.a. aus Sinn und Zweck des § 69 StGB. Danach ist davon auszugehen, dass dieser seinen ursprünglichen Anwendungsbereich im Bereich der führerscheinpflichtigen Kraftfahrzeuge hat. Denn dort findet, anders als bei E-Scooter, eine Eignungsprüfung statt. E-Scooter können hingegen führerscheinfrei genutzt werden und das sogar von Personen, die gerade das 14. Lebensjahr vollendet haben. Niemand prüft, ob der E-Scooter-Fahrer nach seinen fahrerischen Fähigkeiten oder seinen Kenntnissen von den Regelungen des Straßenverkehrs oder charakterlich geeignet ist.
Dass heutzutage auch ein elektrischer Roller ebenfalls unter den Fahrzeugbegriff fällt, dürfte außerdem der Gesetzgeber im Jahr 1969 bei der Neufassung des § 69 StGB nicht im Blick gehabt haben. Der historische Zweck spricht deshalb dafür, von § 69 StGB nur solche Fahrzeuge als erfasst anzusehen, bei deren Benutzung man auch eine Fahrerlaubnis benötigt. Bei E-Scootern ist dies gerade nicht der Fall.
Auch ist die Hemmschwelle, einen E-Scooter trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit zu führen, als deutlich niedriger einzuordnen ist als beispielsweise diejenige beim Führen eines Pkw in einem solchen Zustand. Während es nach einem feuchtfröhlichen Abend häufig bereits an der tatsächlichen Möglichkeit fehlt, mit dem eigenen KFZ nach Hause zu fahren, ist der Rückgriff auf den E-Scooter kein weiter. Er erfordert lediglich ein Öffnen der auf dem eigenen Smartphone befindlichen App, mithilfe dessen die vielfach herumstehenden E-Scooter freigeschaltet werden können. Gerade in Großstädten lassen sich an jeder Ecke E-Scooter finden. Dem alkoholisierten Benutzer eines E-Scooters kann deshalb nicht unterstellt werden, er führe unter denselben Voraussetzungen fahrerlaubnisbedürftige Kraftfahrzeuge wie Mofas, Motorroller, Pkw oder gar Lkw.
Gefahr für sich selbst
Entscheidend für einen Ausnahmefall von § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB spricht aber schließlich die zentrale Voraussetzung des § 69 StGB: Die Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs. Ungeeignet in diesem Sinne ist ein Täter, wenn er dazu neigt, bei der Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr die berechtigten Sicherheitsinteressen anderer Verkehrsteilnehmer eigenen Zielen in nicht hinnehmbarem Maß unterzuordnen und insoweit die Gefährdung oder Verletzung fremder Rechtsgüter in Kauf zu nehmen.
Wer aber einen E-Scooter fährt, begibt eher sich als andere in Gefahr. Die Scooter unterliegen nicht der Helmpflicht, sie sind deutlich leichter als Kraftfahrzeuge und wesentlich instabiler. Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern passieren zumeist auch spät nachts und auf kurzen Strecken, sodass eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer wesentlich ferner liegt als bei Fahrten mit beispielsweise PKWs. Der Schaden, der entsteht, wenn ein Kraftfahrzeug mit einem anderen kollidiert, ist aber offensichtlich und offenkundig nicht zu vergleichen mit dem Schaden, der entstehen könnte, würde ein E-Scooter, der eine maximale Geschwindigkeit von 20 km/h erreicht und ein Gewicht von vielleicht 25 kg aufweist, mit einem Auto kollidieren. Das vom E-Scooter ausgehende Gefahrenpotential ist schlechterdings nicht vergleichbar mit dem Gefahrenpotential, das von einem führerscheinpflichtigen Fahrzeug ausgeht. Die Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter gefährdet primär den E-Scooter-Fahrer, nicht aber andere Verkehrsteilnehmer.
Ferner kann aus einem Fehlverhalten mit einem nicht führerscheinpflichtigen Elektrokleinstfahrzeuge keinerlei Rückschluss darauf gezogen werden, wie sich die Fahrer von E-Scooter, dem die Fahrerlaubnis für führerscheinpflichtige Fahrzeuge entzogen werden soll, bei der Nutzung eines solchen führerscheinpflichtigen Fahrzeugs im Straßenverkehr verhält.
Einem Laien, wie es die meisten Betroffenen sind, ist außerdem nicht bewusst, dass die engen Promillegrenzen von PKWs, statt die von Fahrrädern, gelten. Nicht nur, dass die breite Masse eine solche Entscheidung nicht nachvollziehen kann; auch ist ihr nicht bewusst, welche Konsequenzen ein solches Verhalten mit sich bringt. Sie unterliegen daher dem Grunde nach schon einem Irrtum.
Verhängung eines Fahrverbots als bessere Lösung?
Und nun das bereits angekündigte Argument, warum der Entzug der Fahrerlaubnis geradezu lächerliche Konsequenzen hätte: So ergibt sich durch den Entzug der Fahrerlaubnis die groteske Situation, dass ein Verurteilter wegen des Fehlverhaltens mit dem E-Scooter zwar kein Auto mehr fahren, aber weiterhin mit einem E-Scooter unterwegs sein dürfte. Denn hierfür braucht es ja keine Fahrerlaubnis, sodass man ihn weiterhin nutzen kann, wenn diese entzogen wurde. Dies ist und kann offensichtlich nicht im Sinne des Gesetzgebers und der Rechtsprechung sein.
Viel sinnvoller wäre hier die Verhängung eines Fahrverbotes als Nebenstrafe nach § 44 StGB. Dieses kann ebenfalls einen erheblichen Sanktionscharakter haben. Denn die Gerichte können seit 2017 Tätern nach § 44 Abs. 1 S. 1 StGB sogar für die Dauer von bis zu sechs Monaten verbieten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen. § 44 Abs. 1 S. 3 StGB normiert, dass ein Fahrverbot i.d.R. dann anzuordnen ist, wenn in den Fällen einer Verurteilung nach u.a. § 316 die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB unterbleibt. Im Übrigen würde die Verhängung des Fahrverbotes das Paradoxon beseitigen, dass trotz Entziehung der Fahrerlaubnis praktisch die Möglichkeit bestünde, weiterhin E-Scooter zu fahren. Denn bei der Verhängung des Fahrverbotes wäre auch das Fahren des E-Scooters verboten. Möglich und wesentlich verhältnismäßiger wäre in diesem Zusammenhang sogar, das Fahrverbot (ausschließlich) auf das Fahren eines E-Scooters zu beschränken.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung und insbesondere auch der BGH zu diesem Thema positionieren werden.