In einer kürzlich gefällten Entscheidung setzte das OLG Naumburg ein Zeichen hinsichtlich der Verantwortlichkeiten von Rennradfahrern im Straßenverkehr. Ein Rennradfahrer, der seinen Blick während der Fahrt konsequent aerodynamisch gesenkt hielt, fuhr beinahe folgerichtig auf ein am Straßenrand haltendes Auto auf. Der Radfahrer sah sich dann gar als Opfer und forderte Schadensersatz. Eine Forderung jedoch, die das Gericht mit einer unmissverständlich süffisanten Botschaft zurückwies.
Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hat entschieden, dass auch Rennradfahrer immer die Verkehrslage beobachten müssen. Ein gesenkter Kopf sei auch für Rennradfahrer nur bei Stillstand akzeptabel. Der Rennradfahrer habe durch seine auf die Ausübung seines Sports konzentrierte Fahrweise auf fahrlässige Art und Weise Verkehrsregeln missachtet. Ihm stehe daher nach einem Unfall kein Anspruch auf Schadensersatz zu (OLG Naumburg, Beschluss vom 24.10.2023 – 9 U 74/23).
Wer beim Radfahren nach unten schaut, darf dabei 0 km/h fahren
Ein Rennradfahrer, offenbar darauf bedacht, in einer besonders aerodynamischen Fahrweise die Straße zu nutzen, verpasste es bei seiner rasanten Fahrweise, den Verkehr ausreichend zu beachten. Wie beim professionellen Zeitfahren auf gesperrten Straßen, hob er nur ausnahmsweise und selten den Kopf, um die Verkehrssituation zu beobachten. So auch nach dem Durchfahren einer Kurve. Dabei nahm er ein Auto in einiger Entfernung war, doch schätzte fälschlich ein, dass das Auto fahren würde. Er senkte den Kopf also wieder, um ungebremst weiterzufahren. Da der Wagen jedoch stand, fuhr er auf den stehenden Wagen kurze Zeit später auf. Anschließend forderte er von seinem Unfallgegner Schadensersatz, weil der Fahrer des stehenden Autos einfach zum Telefonieren rechts ran gefahren war. Oh Wunder, dass weder das Landgericht Stendal noch das OLG Naumburg seiner Argumentation folgten.
Das Oberlandesgericht Naumburg äußerte sich in seinem Urteil entsprechend deutlich. Ein Rennradfahrer könne nicht das Recht beanspruchen, für einen bedeutenden Zeitraum zwecks Bewältigung einer Steigung den Kopf zu senken und dabei die Verkehrssituation zu ignorieren. Es wurde klargestellt, dass im öffentlichen Straßenverkehr kein Platz für eine solche Praxis sei. Dann wird das Gericht maximal deutlich, denn weiter heißt es:
„Wenn der Kläger es für nötig hält, im öffentlichen Straßenverkehr sich auf ein Hochschauen nach der Kurve zu beschränken und im Übrigen den Kopf derart konsequent nach unten zu senken, dass er die Verkehrssituation für einen erheblichen Zeitraum nicht wahrnimmt, also dabei insbesondere nicht bemerkt, dass ein wahrgenommenes Fahrzeug nicht fährt, sondern steht, darf er genau genommen nur mit einer Geschwindigkeit von 0 km/h fahren, weil bei dieser Kopfhaltung die übersehbare Strecke 0 m beträgt. Nur bei einer Geschwindigkeit von 0 km/h kann innerhalb einer Strecke von 0 m gehalten werden; wer nach unten und deshalb nicht nach vorn sieht, darf dies praktisch nur, wenn er steht.“
Autofahrer verhielt sich fehlerfrei gegenüber Rennradfahrer
Der Rennradfahrer habe durch sein Handeln nicht nur eklatant gegen das Vorsichtsgebot aus § 1 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen habe, sondern insbesondere auch gegen das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO. Den Richtern nach sei es einem Rennradfahrer zuzumuten, die Verkehrssituation und das Verhalten anderer Fahrzeuge im Blick zu behalten. Hätte der Rennradfahrer dies getan, wäre ihm aufgefallen, dass der vermeintlich fahrende Wagen tatsächlich stand und somit ein Hindernis darstelle.
Dieser Verstoß, so das OLG, wiege letztlich so schwer, dass die Betriebsgefahr des Pkw vollkommen zurücktrete. Ein Fehler sei dem Fahrer des stehendes Autos nicht zu machen. Selbst wenn ihm ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot zur Last gelegt werden könne, so habe sich dieser Fehler nicht gegenüber dem Rennradfahrer ausgewirkt. Der Rennradjunkie hätte nämlich bequem an dem haltenden Fahrzeug vorbeifahren können.
akl/tsp