Grundsätzlich ist es nicht verboten, eine rechtsfahrende Autokolonne zu überholen, wenngleich dies oftmals erhebliche Risiken birgt. Wer doch überholt, der kann nicht davon ausgehen, dass die anderen vorausfahrenden Fahrzeuge allesamt am äußersten rechten Rand fahren. Dies hat das LG Ellwangen im Falle eines „rasenden“ Tesla-Fahrers nochmals klargestellt.

Bei einem Verkehrsunfall, der sich beim Überholen einer Fahrzeugkolonne auf einer schmalen, mittellinienlosen Straße ereignet, ist der überholende Fahrer für den Unfall alleinverantwortlich, wenn er das Überholmanöver unter unklaren Verkehrsbedingungen durchführt. Das Landgericht (LG) Ellwangen bestätigte per Urteil die Entscheidung des Amtsgerichts (AG) Langenburgs. Der Fahrer eines Tesla Elektrofahrzeugs muss daher nun die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens übernehmen und hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem anderen Fahrzeugführer (LG Ellwangen, Urteil vom 20.03.2024, Az. 1 S 70/23).

Klage von Tesla-Fahrer abgewiesen

Ein Tesla-Fahrer näherte sich auf einer Landstraße einer Kolonne von mindestens zehn Fahrzeugen, die er nach und nach von hinten kommend überholen wollte. Beim Überholversuch der letzten drei Fahrzeuge der Kolonne kam es zur Kollision mit einem Opel Astra. Der Tesla wurde infolge der Streifkollision an der hinteren rechten Seite beschädigt, der Astra im vorderen linken Bereich.

Der Tesla-Fahrer forderte den vollständigen Ersatz der Schäden an seinem Fahrzeug. Vor Gericht argumentierte er, dass der Fahrer des Opel Astra unerwartet nach links gezogen sei, während er überholt wurde. In erster Instanz behauptete der Teslafahrer, dass der Astra-Fahrer den Unfall allein verschuldet habe. Der Beweis des ersten Anscheins würde für ein Alleinverschulden des Astra-Fahrers sprechen, denn wer nach links ausschere und dabei mit einem links an dem Fahrzeug vorbeifahrenden Fahrzeug kollidiere, der würde seinen Pflichten beim Überholtwerden aus § 5 Abs. 4 StVO nicht Genüge tun und hätte den Unfall alleinig zu verantworten. Daher trage der Astra-Fahrer somit die Unfallverantwortung trage.

Das AG Langenburg jedoch wies die Klage nach Anhörung der beiden Fahrer sowie der Einholung eines Sachverständigengutachtens erstinstanzlich ab. Der Tesla-Fahrer habe bei unklarer Verkehrslage überholt, indem er an einer Stelle überholt habe, an der ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen sei. Zwar habe der Astra-Fahrer seinerseits gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen, da er sich nach Durchfahren einer S-Kurve nicht wieder ganz am rechten Fahrbahnrand befunden habe. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge werde aber schlussendlich zu dem Ergebnis führen, dass der Tesla-Fahrer für den Unfall alleine hafte, da ihm ein sehr erheblicher Verkehrsverstoß anzulasten sei.

Hiergegen wendete sich der Tesla-Fahrer mit seiner Berufung vor dem LG Ellwangen. Doch auch das LG konnte er nicht überzeugen. Das LG befand die Berufung als unbegründet. Das Überholen sei zwar erlaubt, aber unter den gegebenen Umständen hätte ein umsichtiger Fahrer darauf verzichtet.

Mit 2,10m breitem Tesla auf schmaler Straße überholen – keine gute Idee

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Tesla mit Spiegeln knapp 2,1 Meter breit sei, hätte auch dem Fahrer zwingend einleuchten müssen, so das LG, dass ein Überholen –in Form eines Vorbeischießens an gleich drei PKW mit knapp 95 km/h – trotz seiner extremen Beschleunigungsfähigkeit allenfalls möglich sein würde, wenn – entsprechend den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen – alle überholten Autos am äußersten rechten Rand der Fahrbahn führen und mit der nötigen Aufmerksamkeit ihre Fahrlinie exakt einhalten würden. Hierauf habe der Tesla-Fahrer aber aufgrund des ersichtlich kurvigen Verlaufs der nur 5 Meter breiten Kreisstraße, insbesondere des erkennbaren Übergangs von einer bergab verlaufenden Rechtskurve in eine bergauf verlaufende Linkskurve ohne weiteres ersichtlich nicht vertrauen dürfen, so das LG weiter.

Bezüglich des Rechtsfahrgebots und des Sicherheitsabstands zur Fahrbahnbegrenzung wurde festgestellt, dass der Astra-Fahrer nicht gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO verstoßen habe. Trotz seiner Aussage, dass er nach einer S-Kurve noch nicht wieder vollständig am rechten Rand gefahren sei, ließe das Rechtsfahrgebot laut ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen gewissen Spielraum zu („möglichst weit rechts“). Es sei daher immer nach den Gesamtumständen zu beurteilen, ob vernünftig weit rechts gefahren werde, wobei ein Sicherheitsabstand zur Fahrbahnbegrenzung erlaubt sei.

Das Gericht stellte klar, dass es keine Pflicht gibt, ständig am äußersten rechten Rand einer nur etwa 5 Meter breiten Straße zu fahren, besonders nicht, um riskante Überholmanöver von Kolonnenspringern zu erleichtern.

Im Ergebnis wurde die einfache Betriebsgefahr des Astra-Fahrzeugs durch das grob fahrlässige Verhalten des Tesla-Fahrers, das gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstößt, übertroffen. Der Teslafahrer hat somit keinen Anspruch auf Schadensersatz.

Wenn Autofahrer fahrlässig und riskant überholen, drohen ihnen empfindliche Rechtsfolgen, wie Bußgelder, Punkteeinträge und sogar strafrechtliche Konsequenzen sind möglich. Auch zivilrechtliche besteht ein hohes Haftungsrisiko. Im Ernstfall kann dies gar die wirtschaftliche Existenz gefährden. Unsere Verkehrsrechtsexperten stehen Ihnen daher jederzeit schnell, kompetent und individuell auf ihren Fall beratend zur Seite.

Bereits das Überholen bei unklarer Verkehrslage wird mit einem Bußgeld von 100 Euro bis 150 Euro und einem Punkt in Flensburg geahndet. Wenn sodann noch erschwerend ein missachtetes Überholverbot, eine Gefährdung oder ein Unfall hinzukommen, drohen in der Regel deutlich höhere Strafen bis hin zu einem Fahrverbot.

Außerdem kann ein besonders gefährliches Überholmanöver den Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c StGB erfüllen. Voraussetzung dafür ist, dass der Fahrer sich grob verkehrswidrig und rücksichtslos verhalten hat. Wenn dabei Personen verletzt werden, kann zusätzlich der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung erfüllt sein. Im schlimmsten Fall, bei einer fahrlässigen Tötung, können Freiheitsstrafen verhängt werden.

Zusätzlich zu Bußgeldern, Punkteinträgen und möglichen strafrechtlichen Konsequenzen können auch zivilrechtliche Forderungen entstehen. Wenn ein Überholmanöver zu einem Unfall führt, ist der Verursacher verpflichtet, den entstandenen Schaden zu ersetzen. Häufig wird ihm eine erhebliche Teilschuld zugesprochen, und oft ist er hauptsächlich verantwortlich. Zu den ersatzfähigen Schäden gehören neben den Reparaturkosten auch Schmerzensgeld sowie möglicherweise langfristige Folgekosten wie Einkommensverluste oder Pflegeaufwendungen.

Und obwohl die Kfz-Haftpflichtversicherung grundsätzlich anfänglich die Schäden des Unfallgegners deckt, besteht die Möglichkeit, dass sie bei grober Fahrlässigkeit den Versicherten in Regress nimmt. Zudem kann der Vollkaskoschutz für das eigene Fahrzeug entfallen, wenn der Unfall durch grob fahrlässiges Verhalten verursacht wurde.