In Bremen herrscht offenbar akuter Parkplatzmangel, deshalb parkt man dort vielerorts halbseitig auf dem Gehweg. Das wird von der Verkehrsbehörde auch geduldet, obwohl es in der Straßenverkehrsordnung verboten ist. Anwohner klagten gegen diese Form des Parkens und forderten ein Einschreiten der Stadt gegen die Falschparker.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen hat entschieden, dass die Stadt Bremen das sog. aufgesetzte Parken auf Gehwegen (Gehwegparken) nicht weiter ignorieren darf. Wenn Anwohner sich über dieses Parken beschweren, muss zumindest darauf reagiert werden (OVG Bremen, Urt.v.13.12.2022, Az.: 1 LC 64/22).
Die Kläger waren bzw. sind Eigentümer und Bewohner von Wohnhäusern in verschiedenen bremischen Stadtteilen. In den von den Klägern bewohnten Straßen wird seit Jahren auf beiden Straßenseiten aufgesetzt auf den Gehwegen geparkt, obwohl dies nicht durch Verkehrszeichen erlaubt wurde. Der Antrag der Kläger auf Einschreiten gegen diesen verkehrsordnungswidrigen Zustand wurde von der Straßenverkehrsbehörde abgelehnt. Mit ihrer Klage machten die Kläger geltend, dass die Straßenverkehrsbehörde geeignete Maßnahmen gegen das aufgesetzte Gehwegparken ergreifen und diese anschließend evaluieren müsse.
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Anwohner dürfen Einschreiten gegen Gehwegparken einfordern
Dem ist das Verwaltungsgericht in der ersten Instanz (Az. 5 K 1968/19) im Wesentlichen gefolgt und hat festgestellt, dass die Kläger als Anwohner von Straßen, in denen nicht nur vereinzelt, sondern dauerhaft verkehrsordnungswidrig auf den Gehwegen geparkt werde, berechtigt seien, von
der Straßenverkehrsbehörde ein Einschreiten zu verlangen.
Das OVG hat diese Entscheidung nun im Kern bestätigt, der Straßenverkehrsbehörde aber ein größeres Ermessen bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen eingeräumt. Das aufgesetzte Parken verstoße gegen das aus § 12 Abs. 4 und 4a der Straßenverkehrsordnung (StVO) abzuleitende Verbot, Gehwege ohne spezielle Erlaubnis zum Abstellen von Kraftfahrzeugen zu nutzen. Dieses allgemeine Verbot des Gehwegparkens werde in den Wohnstraßen der Kläger offensichtlich nicht beachtet. Hiergegen, so das OVG, könne die Straßenverkehrsbehörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes straßenverkehrsrechtliche Anordnungen treffen. Grundsätzlich lägen auch die Voraussetzungen für die Durchführung von Abschleppmaßnahmen vor.
Die Parkvorschriften in § 12 Abs. 4 und 4a StVO dienten in erster Linie der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und damit grundsätzlich dem Interesse der Allgemeinheit. Das OVG geht jedoch davon aus, dass dem Verbot des Gehwegparkens auch eine individualschützende Funktion zukomme, da es erkennbar den Interessen derjenigen diene, die den Gehweg zulässigerweise benutzen würden. Dies bedeute jedoch nicht, dass dieser Individualschutz in jedem Fall, d.h. unabhängig vom Grad der Beeinträchtigung, gewährt werden müsse. Vielmehr bestehe ein solcher Schutz nur, wenn die Belange dieser Nutzer in einer qualifizierten und individualisierten Weise betroffen seien. Dies, so das OVG, sei dann der Fall, wenn eine für die Betroffenen unzumutbare Funktionsbeeinträchtigung des Gehweges eintrete.
Das OVG urteilte, dass die Funktion eines Gehwegs nicht erst dann beeinträchtigt sei, wenn Fußgänger nicht mehr oder nur mit Mühe an parkenden Fahrzeugen vorbeikommen oder ein Fußgängergegenverkehr erschwert werde. Es genüge nicht, wenn nur ein schmaler Engpass verbleibe, den Rollstuhlfahrer oder Personen mit Kinderwagen „mit Mühe und Not“ passieren könnten. Vielmehr müsse auch ein Begegnungsverkehr unter ihnen und mit Fußgängern möglich bleiben.
Hiervon ausgehend hat das OVG für die Kläger eine unzumutbare Funktionsbeeinträchtigung der Gehwege bejaht, weil in ihren Straßen durch das aufgesetzte Parken Restgehwegbreiten von weniger als 1,50 m auf annähernd der gesamten Länge der vorhandenen Gehwege verblieben. Ein Begegnungsverkehr sei hier nicht mehr möglich.
Behörde bleibt aber Ermessensspielraum
Die Kläger haben nach Auffassung des Gerichts daher einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein behördliches Einschreiten. Eine Pflicht der Straßenverkehrsbehörde, unmittelbar gegen die verkehrsordnungswidrig parkenden Fahrzeuge einzuschreiten, bestehe nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht. Dies begründet es damit, dass die betroffenen Gehwege in den Straßen der Kläger noch immer – wenn auch eingeschränkt – nutzbar seien und Rechtsgüter von überragender Bedeutung, wie etwa die Gesundheit, nicht konkret gefährdet seien. So müssten Gehwegnutzer in den betroffenen Straßen nicht auf die Straße ausweichen.
Der Ermessenspielraum der Behörde bleibe auch in Anbetracht der Dauer und Häufigkeit der Verstöße bestehen. Diesen Punkt hatte die Vorinstanz noch anders gesehen. Nach Auffassung des OVG sei die Behörde vielmehr gehalten, bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Problem des unerlaubten Gehwegparkens um eine Praxis handele, die in den innerstädtischen Lagen weit verbreitet und über Jahrzehnte weitestgehend geduldet worden sei. Vor diesem Hintergrund sei es daher sachgerecht, wenn die Behörde innerhalb eines Konzepts für ein stadtweites Vorgehen zunächst den Problemdruck in den am stärksten betroffenen Quartieren ermittele. Soweit dabei geplant sei, die Straßen mit besonders geringen verbleibenden Restgehwegbreiten priorisiert zu behandeln, sei dagegen nichts einzuwenden. Der Verweis auf ein Konzept werde aber die Ermessensentscheidung nur solange tragen, wie dieses auch tatsächlich und nachvollziehbar umgesetzt werde.
Das OVG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision gegen das Urteil zugelassen.
tsp
mha