Wer Geblitzt wurde, der muss die Messungen auch im Nachhinein überprüfen können. Ist dies nicht möglich, sind die Bilder bestimmter Blitzer-Typen (TraffiStar S 350 der Firma Jenoptik) im Bußgeldverfahren nicht verwertbar. Dies hatte 2019 der VerfGH des Saarlandes entschieden. Nun urteilte der VerfGH Rheinland Pfalz über ein weiteres Blitzer-Messgerät (Vitronic PoliScan FM1), da auch dieser nicht die sog. Rohmessdaten speichert. Das Gericht verwies die Sache zunächst an die Vorinstanz zurück. Gut möglich, dass demnächst der BGH entscheiden muss. Je nach Ausgang des Verfahrens müssen erneut Tausende Bußgeldbescheide zurückgenommen werden.

Wer Geblitzt wurde, der muss die Messungen auch im Nachhinein überprüfen können. Ist dies nicht möglich, sind die Bilder bestimmter Blitzer-Typen im Bußgeldverfahren nicht verwertbar. Dies hatte der VerfGH des Saarlandes am 05. Juli 2019 entschieden (VerfGH Saarland, Urteil vom 05.07.2019, Az. Lv 7/17, Hierzu unser Beitrag). Im Verfahren ging es um das Messgerät TraffiStar S 350 der Firma Jenoptik. Doch das Problem, dass Rohmessdaten nicht gespeichert werden, betrifft darüber hinaus viele andere Geräte, gleich ob fest installiert oder mobil. 

Nun hat sich der VerfGH Rheinland Pfalz am 15. Januar 2020 mit einem weiteren Fall beschäftigt. In dem Fall ging es ebenfalls um die Verwertbarkeit von Blitzerdaten. Der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Rheinland-Pfalz in Koblenz hat der Verfassungsbeschwerde teilweise stattgegeben, der eine Verurteilung eines Autofahrers wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde lag. Das Gericht hat den Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz, mit dem dieses den Antrag des Autofahrers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts (AG) Wittlich verworfen hatte, aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen (Urt. v. 15.01.2020, Az. VGH B 19/19) .

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Vitronic PoliScan FM1 – Neues Blitzer-Verfahren vor dem VErfGH Rheinland Pfalz

Von Rabax63 – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Dem Verfahren liegt die Verurteilung eines Autofahrers wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zugrunde. Im Oktober 2017 soll er auf der A1 bei Wittlich in Rheinland Pfalz 34 km/h zu schnell gefahren sein. Geblitzt wurde er von einem Messgerät des Typs Vitronic PoliScan FM1, welches in einem sog. Trailer (Anhänger) verbaut war. Dafür erhielt er eine Geldbuße über 120 Euro. Sowohl vor dem AG Wittlich, als auch vor dem OLG Koblenz hatte er sich gegen die Geldbuße in der Folge vergeblich zur Wehr gesetzt.

In der Verfassungsbeschwerde vor dem VerfGH Rheinland Pfalz kritisierten die Anwälte des Betroffenen, dass ihnen im Verfahren nicht die Möglichkeit gewährt wurde, antragsgemäß die Einsichtnahme in ihres Erachtens beizuziehende weitere Unterlagen zu nehmen. Dazu zählen u.a. die Statistikdatei, die Case-List, die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichunterlagen zu dem Messgerät Vitronic PoliScan FM1 sowie die Aufbau- und Einbauvorschriften des Herstellers bei der Verwendung des Messgeräts in einem Anhänger. Das Messgerät speichere keine Rohmessdaten für die Überprüfung etwaiger Messfehler. Vielmehr würde lediglich das Endergebnis gespeichert. Allein mit dem Endergebnis jedoch, lässt sich ein Mandant nicht ordentlich vertreten.

Jeder Autofahrer muss aber das Recht haben, den Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung zu überprüfen. Andernfalls habe man keine Möglichkeit, sich vor Gericht zu verteidigen und müsse sich blind auf das vom jeweiligen Gerät ausgegebene Messergebnis verlassen.

Diese gängige Praxis kritisieren wir bereits seit Jahren und haben uns hierzu in der Vergangenheit auch in zahlreichen Interviews in den Medien klar geäußert. Unserer Auffassung nach, müssen Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr vollständig überprüfbar sein. Und es wäre auch technisch problemlos möglich, die Daten über einen längeren Zeitraum zu speichern. Der Vorteil einer längeren Speicherung liegt auf der Hand: Zweifelt ein Mandant die von der Bußgeldstelle gemessene Geschwindigkeit an, könnten wir gemeinsam mit unserem Mandanten im Nachhinein die Geschwindigkeitsberechnung durch das Gerät nachvollziehen und ihn – man muss es so sagen – „besser“ verteidigen.

Christian Solmecke Rechtsanwalt und Partner bei WILDE BEUGER SOLMECKE

Der Betroffene Fahrer war der Auffassung, sein Beweisantrag sei zu Unrecht abgelehnt worden und seine Verurteilung damit verfassungswidrig. Seine Verteidigungsmöglichkeiten seien unzulässig verkürzt worden. Das Urteil des AG Wittlich sowie der nichtstattgebende Beschluss des OLG Koblenz über die Zulassung seiner Rechtsbeschwerde verletzten ihn in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren, das Urteil des AG Wittlich darüber hinaus in seinem Recht auf rechtliches Gehör und der Beschluss des OLG Koblenz in seinem Anspruch auf den gesetzlichen Richter.

Zudem hätte man das Verfahren dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe vorlegen müssen, da bereits der VerfGH des Saarlandes entschieden hatte, dass gewisse Messungen des Blitzgeräts Traffistar S 350 des Herstellers Jenoptik vorerst nicht mehr in Bußgeldverfahren verwendet werden dürfen.

Entscheidung des VerfGH – Geht es nun zum BGH?

Der VerfGH entschied nun, dass das Urteil des OLG Koblenz die Rechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –) und den gesetz­lichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV) verletze. Der Autofahrer habe in seinem Zulas­sungsantrag ausdrücklich auf die Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte hin­gewiesen, wonach ein Recht auf Einsichtnahme in die mit der hier geforderten Aufbau­anleitung vergleichbare Gebrauchsanweisung eines Messgerätes auch dann bestehe, wenn diese sich nicht bei der Gerichtsakte befinde.

Vor diesem Hintergrund sei objektiv kein Gesichtspunkt erkennbar, der die Verwerfung des Zulassungsantrags als unbegründet rechtfertige. Bestehe zu derselben Rechtsfrage bereits eine abweichende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, sei die Rechtsbeschwerde vielmehr zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzu­lassen und auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, um eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof zu ermöglichen.

Blitzer bleiben erst einmal in Betrieb

Hinsichtlich der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen wies der VerfGH die Verfassungsbeschwere hingegen zurück. Wegen des verfassungs­prozessualen Grundsatzes materieller Subsidiarität sei dem OLG Koblenz durch die Zurückverweisung zunächst Gelegenheit zu geben, erneut über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu befinden.

Zur Frage, ob Messdaten herausgerückt werden müssen, äußerte sich der VGH nicht direkt. Der VerfGH betonte allerdings, die an der jüngeren Rechtsprechung des VerfGH des Saar­landes zu den Gewährleistungen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs orientierte Argumentation des Autofahrers sei keineswegs zwingend. Gerade im Ordnungswidrigkeitenverfahren, das sich in wesentlichen Punkten vom Strafverfah­ren unterscheide, seien neben den Rechten des Betroffenen auch die Erfordernisse einer funktionierenden Rechtspflege in den Blick zu nehmen.

Vor dem Hintergrund der VerfGH-Entscheidung bleiben damit die bisher in Rheinland-Pfalz von der Polizei eingesetzten Blitzer erst einmal in Betrieb.

Blitzer-Messungen nicht mehr verwertbar? Was ist mit bereits abgeschlossen Bußgeldverfahren?

Klar ist damit seit heute, dass noch nichts klar ist. Gleich, ob nun das OLG selbst in der Sache entscheidet oder ob das OLG das Verfahren zum BGH nach Karlsruhe gibt, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Es ist weiterhin gut möglich, dass am Ende eine Entscheidung steht, dass die Messungen der Radarfallen-Anhänger in Rheinland-Pfalz ebenfalls nicht mehr verwertbar sind. Auch laufende Verfahren müssten dann eingestellt werden.

Vergleichbare Verfahren sind zudem auch bei weiteren Verfassungsgerichten anhängig.

Übrigens: Die Chancen, gegen einen Bußgeldbescheid vorzugehen, der bereits rechtskräftig geworden ist, sind zwar eher als gering einzustufen. Bei Bescheiden jedoch, bei denen ein Bußgeld von über 250 Euro verhängt wurde oder es ein Fahrverbot gab, können unsere Anwälte die Wiederaufnahme in dem abgeschlossenen Verfahren beantragen. Denn bei der Löschung der Rohmessdaten handelt es sich rechtlich um eine „neue Tatsache“, die bislang nicht berücksichtigt werden konnte. Gerne beraten wir Sie hierzu in unserem unverbindlichen, kostenfreien Erstberatungsgespräch.

tsp