Handytarife mit begrenztem Datenvolumen können gegen den Grundsatz der Netzneutralität und damit gegen europäisches Recht verstoßen. Dies gilt dann, wenn z.B. bestimmte Musik-Streamingdienste wie Spotify oder Deezer von der gedrosselten Geschwindigkeit ausgenommen werden und damit nicht auf das Datenvolumen angerechnet werden. Dies hat der EuGH erstmalig entschieden. 

Handytarife, bei denen bestimmte Dienste etwa für Musik-Streaming nicht auf das Datenvolumen des Kunden angerechnet werden, verstoßen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen EU-Recht.

Die Anbieter dürften bestimmte Anwendungen nicht bevorzugt behandeln, indem sie deren Nutzung nach Ablauf des Datenvolumens weiterhin ungedrosselt anbieten und die der übrigen Dienste blockieren oder verlangsamen, befanden die Richter in Luxemburg am 15.09.2020. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Netzneutralität, wonach alle Daten im Internet diskriminierungsfrei gleichbehandelt werden müssen (Urt. v. 15.09.2020, Rechtssachen C-807/18 und C-39/19).

Netzneutralität -Handytarife benachteiligen Apps

Hintergrund ist ein Fall in Ungarn, ähnliche Tarife werden aber auch in Deutschland angeboten. Verbraucherschützer hatten dies bereits kritisiert.

Das ungarische Unternehmen Telenor bietet Internetzugangsdienste an. Zu den angebotenen Dienstleistungen gehören auch zwei Pakete für einen bevorzugten Zugang. Die Nutzung bestimmter Dienste, oft besonders beliebte Dienste wie etwa YouTube, WhatsApp, Spotify, Deezer oder auch Facebook, wird dabei nicht auf den Verbrauch des Datenvolumens des Kunden angerechnet (sog. „Zero-Rating“). Außerdem können diese speziellen Dienste auch dann weiterhin uneingeschränkt genutzt werden, wenn das Datenvolumen erschöpft ist, während der Datenverkehr bei den übrigen verfügbaren Diensten dann blockiert oder verlangsamt wird.

Nachdem die ungarische Behörde für Medien und Kommunikation zwei Verfahren eingeleitet hatte, um zu prüfen, ob diese beiden Pakete mit der Verordnung 2015/2120 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet vereinbar sind, erließ sie zwei Bescheide, in denen sie die Auffassung vertrat, dass die Pakete gegen die in Art. 3 Abs. 3 der Verordnung enthaltene Pflicht zur gleichen und nichtdiskriminierenden Behandlung des Verkehrs verstießen und dass Telenor dies abstellen müsse.

Dagegen klagte Telenor bei ungarischen Gerichten. Der ungarische Hauptstädtische Gerichtshof, rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung der Art. 3 Abs. 1, 2 und 3 der Verordnung (EU) 2015/2120 an.

Soforthilfe vom Anwalt

Sie brauchen rechtliche Beratung? Rufen Sie uns an für eine kostenlose Ersteinschätzung oder nutzen Sie unser Kontaktformular.

Wir sind bekannt aus

Was sagt der EuGH?

Der EuGH hat nun erstmals zur Verordnung über den Zugang zum offenen Internet (2015/2120) entschieden. Die Richter erkannten bei sogenannten „Nulltarifen“ einen Verstoß gegen Art. 3 der Verordnung, wo der unabhängige Zugang europäischer Verbraucher zum Internet normiert ist. Solche Dienste seien geeignet, die Ausübung der Endnutzerrechte aus Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 auf einem erheblichen Teil des Marktes einzuschränken. Denn solche Pakete könnten die Nutzung der bevorzugt behandelten Dienste erhöhen und zugleich die Nutzung der übrigen verfügbaren Dienste verringern. Je größer die Zahl der Kunden sei, die solche Pakete buchen, könne dies umso mehr zu einer erheblichen Einschränkung der Ausübung der Endnutzerrechte führen oder sogar den Kern dieser Rechte untergraben, so die Luxemburger Richter.

Zudem unterstrich der EuGH, dass die Maßnahmen, mit denen der Datenverkehr der nichtbevorzugten Dienste blockiert oder verlangsamt wird, gegen die in Artikel 3 Abs. 3 normierte Netzneutralität verstoße, wonach alle Daten im Internet diskriminierungsfrei gleich behandelt werden müssen. Der Verstoß beruhe darauf, dass diese Maßnahmen nicht auf objektiv unterschiedlichen Anforderungen an die technische Qualität der Dienste bei speziellen Verkehrskategorien, sondern auf kommerziellen Erwägungen beruhen.

Gibt es ähnliche Tarife auch in Deutschland?

Die ähnlichen Tarife, die in Deutschland angeboten werden, dürften indes wohl nicht von dem Urteil betroffen sein, weil bei diesen Tarifen alle Apps – also beispielsweise auch die bevorzugten Musik- oder Streaming-Dienste – von der Tempo-Drosselung betroffen seien.

Und dennoch: Wegen des Telekom-Tarifs „StreamOn“ noch ein Gerichtsverfahren in Deutschland anhängig. Das Verwaltungsgericht (VG) Köln rief dazu im Januar den EuGH an. Das VG Köln will u.a. in Erfahrung bringen, ob das StreamOn-Angebot den Anforderungen des Art. 3 Abs. 3 der Roaming-Verordnung und dem dort geregelten Gleichbehandlungsgrundsatz genügt und ob die Bandbreitenreduzierung im Falle von „StreamOn“ als eine zulässige sogenannte Verkehrsmanagementmaßnahme im Sinne der Verordnung eingestuft werden kann (Beschl. v. 20.01.2020, Az. 9 K 4632/18).

Auch im Falle des Vodafone-Passes hatte das VG Köln das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH im November 2019 Vorabfragen vorgelegt.

Verbraucher in Deutschland werden zunächst nicht unmittelbar von dem urteil betroffen sein. Ob das Urteil auch Auswirkungen auf den deutschen Markt haben wird, muss nun geprüft werden. Denkbar ist aber, dass auch deutsche Handytarif-Angebote vom Markt verschwinden können, da sich diese künftig- da nun die Auffassung des EuGH klar ist- nicht mehr lohnen dürften.

tsp