Mobilfunkanbieter mussten im Juni 2017 mit Abschaffung der Roaming-Gebühren automatisch die Tarife aller Kunden ändern. O2 tat dies nicht, sondern stellte seine Kunden vor die Wahl, zum regulierten „Roam-Like-At-Home-Tarif“ zu wechseln. In seinem Urteil vom 3. 9. 2020 erklärte der EuGH diese Geschäftspraxis für unionsrechtswidrig (C-539/19).

Die EuGH-Richter hielten den Wortlaut der Roaming-Verordnung für eindeutig. O2 hätte mit Abschaffung der Roaming-Gebühren die Tarife aller Kunden auf den neuen regulierten Roaming-Tarif „Roam like at home“ umstellen müssen. Hier hätte nicht zwischen Kunden mit alternativen Tarifen und Kunden mit bereits regulierten Roaming-Tarifen unterschieden werden dürfen. Die Geschäftspraxis von O2, von Kunden, die sich in einem speziellen, so genanntem alternativen Roaming-Tarif befanden, ein aktives Opt-In (per SMS oder über eine App) in den „Roam-Like-At-Home“- Tarif zu verlangen, war unionsrechtswidrig.

Zu den Hintergründen

Im Juni 2017 wurden zur Freude sämtlicher Verbraucher in der EU durch die EU-Roaming-Verordnung die Roaming-Gebühren abgeschafft. EU-weit wurde ab dem Inkrafttreten der Verordnung mit einer automatischen Umstellung der Tarife gerechnet. O2 ging aber auf seine eigene Weise mit der Gesetzesänderung um und machte es seinen Kunden schwerer.  Eine automatische Umstellung auf den regulierten „Roam-Like-At-Home“- Tarif nahm der Mobilfunkanbieter nur bei Kunden vor, die bis zum Inkrafttreten der Verordnung einen so genannten regulierten Roaming-Tarif besaßen. Von Kunden, die sich in einem speziellen, so genanntem alternativen Roaming-Tarif befanden, verlangte die Trägergesellschaft Telefonica Germany GmbH & Co OHG hingegen ein aktives Opt-In (per SMS oder über eine App) in den „Roam-Like-At-Home“- Tarif.

Wer also vor Inkrafttreten der Roaming-Verordnung keinen Roaming-Tarif – wie ,Roaming Basic‘ bzw. , Weltzonenpack ‘ und ,Mobiles Internet Ausland – abgeschlossen hatte, der musste O2 aktiv signalisieren, dass er nun zu einem solchen Roaming-Tarif ohne Roaming-Gebühren wechseln wolle. Ansonsten ging O2 von dem Interesse des Kunden aus, den alten Tarif mit weiterhin anfallenden Roaming-Gebühren beibehalten zu wollen.

O2 gab auf seiner Website die allgemeinen Informationen bekannt:

„Alle 02 Kunden können ab dem 22.05.2017 den Wechsel in den regulierten EU-Roaming-Tarif per SMS vornehmen. Hierfür 2 Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände schickst du bitte eine SMS mit dem Kennwort ,JA ‘ an die 65544. Du wirst dann automatisch auf den regulierten Tarif umgestellt. Nach erfolgreicher Umstellung erhältst du eine Bestätigungs-SMS. “

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Wir sind bekannt aus

Verbraucherschützer klagten vor dem LG München I

Der Umgang von O2 mit der Gesetzesänderung stieß nicht nur bei vielen O2-Kunden auf Empörung. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erhob Klage vor dem Landgericht München I und wirft O2 einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vor. Der Verband sieht in dem Verhalten des Mobilfunkanbieters  einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Verbraucher müssten annehmen, dass die neue Roaming-Regelung nur dann für sie gelte, wenn sie zuvor eine entsprechende SMS an ihren Anbieter O2 geschrieben hätten. Dies steht nach Ansicht des vzbv jedoch nicht mit der EU-Verordnung in Einklang. Zwar sei die EU-Verordnung „schwammig“ formuliert, sodass es unterschiedliche Auffassungen zur automatischen Umstellung des EU-Roaming-Tarifs gebe – aus ihrer Sicht sollten aber alle Tarife automatisch auf den regulierten Tarif umgestellt werden.

Die Telefónica Deutschland beruft sich hingegen  in rechtlicher Hinsicht unter anderem auf Äußerungen der Bundesnetzagentur auf ihrer Website. Diese schreibt nämlich auf die Frage „Wird mein Vertrag automatisch zum 15.06.2017 auf RoamLike-At-Home“ umgestellt?“

Dies ist abhängig davon, ob Sie sich für einen alternativen Tarif entschieden haben oder einen regulierten Tarif nutzen. Sofern Sie einen alternativen Tarif nutzen, informiert Sie Ihr Mobilfunkanbieter über den Start von Roam-like-at-home und die damit verbundenen Vorteile. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, kostenlos in einen regulierten Roamingtarif (zurück-) zu wechseln.

Vorlage an den EuGH zur Auslegung der Roaming-Verordnung

Die Frage nach einem Wettbewerbsverstoß erscheint komplex. Die Richter am Landgericht München I konnten noch keine abschließende Entscheidung treffen. Stattdessen legten sie Fragen zur Auslegung der Roaming-Verordnung dem EuGH vor.

Konkret geht es in dem Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH um Art. 6e Abs. 3 der Roaming-Verordnung:

Die Roaminganbieter können einen anderen als den nach den Artikeln 6a, 6b und 6c und Absatz 1 des vorliegenden Artikels festgelegten Roamingtarif anbieten, und Roamingkunden können sich bewusst für einen solchen Tarif entscheiden, aufgrund dessen ihnen für regulierte Roamingdienste ein anderer Tarif zugute kommt, als ihnen ohne eine solche Wahl eingeräumt worden wäre. Der Roaminganbieter muss diese Roamingkunden auf die Art der Roamingvorteile, die sie dadurch verlieren würden, nochmals hinweisen.

Unbeschadet des Unterabsatzes 1 wenden die Roaminganbieter auf alle bestehenden und neuen Roamingkunden einen nach den Artikeln 6a und 6b und Absatz 1 des vorliegenden Artikels bestimmten Tarif automatisch an. (…)

Aufgrund dieses Wortlautes schlussfolgerte die Telefonica Germany, dass  die Pflicht zur automatischen Umstellung bestehender Verträge nur für regulierte, nicht aber für alternative Tarife gälte.

Der vzbv hielt mit dem Wortlaut des Art. 6e Abs. 3 dagegen, dass für „alle bestehenden und neuen Roamingkunden“ die in Art. 6a und 6b geregelten regulierten Tarife anzuwenden seien – und zwar „automatisch“. Es werde also keinerlei Differenzierung zwischen jenen „bestehenden“ Kunden gemacht, die vor dem 15. Juni 2017 einen regulierten Tarif verwendet hätten und solchen „bestehenden“ Kunden, die vor dem 15. Juni 2017 einen alternativen Tarif verwendet hätten.

Zudem sei nicht von einer bewussten, aktiven Entscheidung der O2-Kunden für einen alternativen Roaming-Tarif mit weiterhin anfallenden Gebühren auszugehen, wenn diese sich vor Abschaffung der Roaming-Gebühren für einen solchen Tarif entschieden hätten.

Heute hat der EuGH die Streitsache endlich geklärt und ein klares Urteil zugunsten der Verbraucher bzw. Mobilfunkkunden gefällt.

mle