Amazon und das Bundeskartellamt sind aktuell nicht wirklich gut aufeinander zu sprechen. Dabei geht es insbesondere darum, wie Amazon wettbewerbsrechtlich eingestuft wird. Wie viel Macht hat Amazon wirklich? Die Streitigkeit wir nun zu einem Fall für den BGH.

Das Bundeskartellamt (BKartA) stufte Amazon als Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ ein, was eine strengere Wettbewerbsaufsicht für das Unternehmen bedeuten könnte. Amazon geht gegen diese Einstufung vor – nun entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) (Az. KVB 56/22).

Amazon dürfte die wohl bekannteste Online-Plattform der Welt sein. Das 1994 von Jeff Bezos ins Leben gerufene Unternehmen hat, wie das Logo schon zeigt, von A bis Z alles im Sortiment. Mit Prime wird die Bestellung sogar am nächsten Tag geliefert, daher ist Amazon für viele der schnellste und einfachste Weg des Online-Shoppings. Dabei können die Kunden entweder von Amazon selbst oder über einen bei Amazon gelisteten Einzelhändler bestellen. Im ersten Fall ist Amazon selbst der Verkäufer, im zweiten hingegen nur die Handelsplattform. Wettbewerbsrechtlich ist dieses Geschäftsmodell aber schwer zu greifen, denn der Online-Riese wird auf unterschiedlichen Märkten tätig. Darüber hinaus betreibt Amazon Logistikdienste und sammelt so Daten von Nutzern und Einzelhändlern. Dadurch verschafft Amazon sich eine große wirtschaftliche Macht, die nun auch das BKartA tätig werden ließ. Im Juli 2022 stufte das BKartA Amazon als Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ ein. Diese Kategorie war erst 2021 in einem neuen § 19a Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) eingeführt worden und geht auf eine Modernisierung und Stärkung der wettbewerbsrechtlichen Missbrauchsaufsicht zurück. Zuerst traf es Google, die Anfang 2022 schon derartig eingestuft worden sind.

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Amazon wehrt sich

Amazon sei laut dem Kartellamt ein zentraler Schlüsselspieler im Bereich des E-Commerce. Die Angebote der Plattform unter anderem als Händler, Marktplatz, Streaming- und Cloud-Anbieterseien seien außerdem zu einem digitalen Ökosystem verbunden. Amazon, die ihren deutschen Hauptsitz in München haben, möchte diese Einstufung nicht ohne Weiteres hinnehmen. Daher legte Amazon eine Beschwerde ein, über die nun der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) erstmals verhandeln wird. Denn durch die Einstufung i. S. d. § 19a Abs. 1 GWB können weitreichende Aufsichtsmaßnahmen gegen Unternehmen verhängt werden. Genau diesen möchte Amazon sich aber gerne entziehen. Insbesondere der § 19a Abs. 2 GWB enthält einen Katalog an Maßnahmen, die das BKartA in einem solchen Fall ergreifen kann.

Zum Beispiel kann die Behörde Praktiken untersagen, die Wettbewerber auf einem Markt, auf dem das Unternehmen seine Stellung schnell ausbauen kann, auch ohne marktbeherrschend zu sein, unmittelbar oder mittelbar behindern. Das BKartA kann außerdem Selbstbevorzugung verbieten. Im Fall von Amazon könnte das sein, wenn Produkte, die Amazon selbst im Direktverkauf anbietet, weiter oben in den Suchergebnissen gelistet werden als gleichwertige Produkte von Wettbewerbern, für die Amazon aber die Verkaufsplattform ist. Ähnliches gilt auch für das Aufrollen neuer Märkte oder aber das Ausnutzen der Datenmacht, die Amazon inne hat.

Überprüfung des § 19a GWB

Anders als Google/Alphabet und auch Facebook/Meta legte Amazon gegen die Einstufung eine sog. Kartellverfahrensbeschwerde ein, da das Unternehmen die Einstufung als ungerechtfertigt empfindet. Ein Sprecher Amazons verteidigte die Marktstellung damit, dass der Einzelhandelsmarkt, in dem Amazon tätig ist, sehr groß sei und darüber hinaus auch ausgesprochen wettbewerbsintensiv – online wie offline. Außerdem sei der Gesamtanteil des E-Commerce am deutschen Einzelhandelsumsatz für das vergangene Jahr durch den Handelsverband Deutschland auf nur 13,4 Prozent geschätzt worden.

Eine weitere Besonderheit: Über Verfügungen des BKartA aufgrund von § 19a GWB ist der BGH in erster und letzter Instanz zuständig (§ 94 i.V.m. § 73 Abs. 5 GWB). Ursprünglich wäre bei Kartellverfahrensbeschwerden ein Verfahren über zwei Instanzen zu führen, das vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf seinen Ausgang genommen hätte. In diesem Fall gilt das aber nicht. Folglich ist der BGH in der Amazon-Sache auch das Tatsachengericht (also eine Gerichtsinstanz, die Feststellungen zu einem im Streit stehenden Lebenssachverhalt trifft, um den Rechtsstreit auf dieser Grundlage entscheiden zu können). Das Gericht muss also klären, ob die Voraussetzungen des § 19a Abs. 1 GWB vorliegen, also ob Amazon überhaupt die attestierte „überragende marktübergreifende Bedeutung“ hat.

Voraussichtlich keine EuGH-Vorlage

Was den Fall übrigens nicht gerade unkomplizierter macht: Die Problematik wird von Normen des Unionsrechts überlagert. Amazons Anwälte machen vor dem BGH geltend, dass der neue § 19a GWB vor Inkrafttreten der EU-Kommission hätte vorgelegt werden müssen – solch ein Notifizierungsverfahren soll aber nicht stattgefunden haben. In einem Notifizierungsverfahren müssen EU-Mitgliedstaaten die Europäische Kommission über einen Rechtsakt von grenzüberschreitendem Interesse in Kenntnis setzen. Außerdem würde der § 19a gegen Vorgaben des europäischen Gesetzes über digitale Märkte verstoßen (Digital Markets Act – DMA), ein Verstoß gegen das Grundgesetz wurde ebenfalls gerügt.

Die Vertreter des BKartA entzogen Amazons Anwälten die Argumentationsgrundlage, indem sie aufführten, dass die EU beim Entwickeln des DMA die deutsche Vorschrift schon gekannt und berücksichtigt habe. Vorlagepflichtig seien aus Sicht des Kartellamtes nur allgemeingültigere Regelungen. Einer ersten Einschätzung des BGH-Kartellsenats nach verstößt der § 19a GWB nicht gegen Unionsrecht und auch nicht gegen das Grundgesetz. Außerdem plant der BGH nicht, einen möglichen Verstoß gegen die Notifizierungspflicht beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Die prozessuale Schwierigkeit, ob der BGH das Verfahren, wie in Revisionsverfahren üblich, so lange aussetzen müsste, bis der EuGH entschieden hat, oder ob er hier als Tatsacheninstanz mit der Beweisaufnahme fortführen könnte, hätte sich damit wohl erstmal erledigt.

Ein Erfolg für das BKartA? Zumindest fürs Erste. Dennoch hat sich die Angelegenheit noch nicht erledigt. Ob Amazon nämlich wirklich als ein Unternehmen von „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ eingestuft werden kann, muss noch von den Karlsruher Richtern geprüft und entschieden werden. Daher kann sich das Verfahren noch etwas strecken. Gut möglich also, dass die Parteien sich noch bei weiteren Verhandlungsterminen gegenüberstehen werden. Neben Amazon ist auch noch eine Beschwerde von Apple beim BGH anhängig. Im Fall von Microsoft hat das Kartellamt die Prüfung Ende März eingeleitet. Der Kartellsenat des BGH hat an dieser Front aktuell also einiges an Arbeit vor sich.

agü/ezo